Volltext: Fünf Jahrhunderte italienische Kunst aus den Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein

Kat, Nr. 29 
GIROLAMO FORABOSCO (1604/51679) 
«DAVID MIT DEM HAUPT DES GOLIATH» 
Leinwand: 120,5 x 96,3 cm 
Iny. Nr. G 38 
Erworben: vor 1712 durch Fürst Johann Adam Andreas L. 
Foraboscos Bildnis des jugendlichen David, der den Kopf des 
Goliath trägt, geht auf das Buch Samuel (I, Kap. 17) zurück, das 
die Geschichte der alttestamentlichen israelitischen Könige 
erzählt. Der bethlehemitische Hirtenknabe, von Gott schon zum 
König ausersehen und von Samuel gesalbt, besiegte den Riesen 
Goliath, den ungeheuerlichen Stellvertreter der feindlichen Phi- 
lister im Zweikampf. Den nahezu aussichtslosen Kampf hatte 
David mit listenreicher Klugheit gewonnen, indem er einen 
Stein schleuderte, der den Riesen am Kopf traf, so daß er ihn 
dann mit dessen Schwert zu töten vermochte. 
Dem Judiththema verwandt, hat diese Episode ebenfalls eine 
lange Darstellungstradition. Auch David ist ein Retter Israels 
aus usurpatorischer Bedrohung und für das republikanische Flo- 
renz der frühen Renaissancezeit eine Identifikationsfigur. In 
Skulptur und auf Gemälden triumphiert der jugendliche Held 
über den ungeheuerlichen Riesen. Und auch dieser Ikonogra- 
phie gab der venezianische Kunstkreis in der Renaissance neue 
Dimensionen. Giorgione malte sich in einem Selbstporträt 
(Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum) als melancho- 
lisch zurückblickenden David und übertrug so den Gedanken 
des heilsgeschichtlichen Helden in das Bild einer Reflexion 
über die Kunst. Caravaggios Umkehrung der Identifikation, 
ındem er Goliaths Kopf die Züge seines eigenen Bildnisses ein- 
trug (Rom, Galleria Borghese), zeigt ein pessimistisches und 
auch leidvolles Selbstverständnis des Künstlers auf der Seite des 
grausam Unzivilisierten. 
In diesem bildnerischen Spannungsfeld hat Girolamo Forabosco 
seine Daviddarstellung entwickelt. A prima vista zeigt er uns 
den David vor dunklem, abstraktem Hintergrund, ganz im Rah- 
men der Halb- oder Dreiviertelfigurenbildnisse. Doch dann 
erscheint in der rechten oberen Bildecke in einem fast winzigen 
Ausschnitt dramatisch bewölkter Himmel. Ganz offen gesetzte 
Pinselstriche sind dort nicht zu eindeutiger Form geführt, aber 
sie lassen den monochrom wirkenden Hintergrund plötzlich 
gegenständlich werden. Durch das Himmelsstück erkennt man 
die Rundung davor als einen Berg. Im perspektivischen Blick 
entsteht Distanz, ein Weg vielleicht. Der dramatische Höhe- 
punkt und der Ort des Geschehens liegen schon hinter David, 
doch posiert er hier nicht als Sieger. Er hat die Trophäe geschul- 
tert, um sie nach Jerusalem zu bringen und sie den Israeliten im 
Triumph vorzuführen. Hier ist er in aller Einsamkeit erst auf 
dem Weg dahin, eine Initiationsfigur, die mit leicht melancholi- 
schem Blick vor sich schaut, auf das, was noch kommen mag. 
Es ist das Herrschertum, die Königswürde Davids, um die er 
längst weiß und die er nun errungen hat. Die Gesichtszüge 
offenbaren das Heroenverständnis. Ruhig und entspannt, die 
Mundwinkel leicht gehoben, zeigt David ein leises Lächeln. Das 
Gesicht wirkt ein wenig gerötet noch im Nachklang der Hitze 
des Kampfes. Nachdenklich, doch gelöst, nahezu heiterer Stim- 
nung — dazu gehören auch die feinen Glanzlichter auf den Haa- 
‚en und das Rot der Lippen — zeigt sich der Jugendliche Held. 
Zin ungewöhnliches Detail, das nur die liechtensteinische Fas- 
ung zeigt und auf den Repliken in Venedig (Accademia) und 
New York (Privatsammlung) nicht mehr erscheint, unterstreicht 
die Herrschaftssymbolik: das Raubkatzenfell, das den Hirten 
’ekleidet. Das Davidsgewand ist sonst immer aus Stoffen gefer- 
igt, ohnehin auf jener Version, die den Helden als höfischen 
üngling darstellt (Bologna, Privatsammlung und Columbia, 
5. C., Museum of Art). Wie auch das einzigartige Tragemotiv 
zrinnert das Tierfell hier an Herkulesdarstellungen, die den anti- 
<en Helden, der durch seine zwölf Arbeiten zur metaphorischen 
Gestalt eines Zivilisationsbegründers wurde, in der Pose eines 
Bezwingers zeigen. 
Dieses ganz zu unrecht wenig beachtete, wohl späte Werk des 
ıahezu vergessenen Girolamo Forabosco ist tatsächlich eine der 
{nkunabeln venezianischer Barockmalerei. Die häufige falsche 
Zuschreibung der Werke Foraboscos an Velazquez kommt nicht 
von ungefähr. Nicht allein die Brauntonigkeit und das daraus 
ıervorleuchtende Inkarnat und der locker und frei geführte 
Jastose, nahezu impressionistisch wirkende Duktus, insbeson- 
lere bei Goliaths Kopf, lassen an den Spanier denken. Es ist vor 
allem die Modernität des Bildaufbaus, das kompromißlose, 
ein malerische Kompositionsanliegen Foraboscos, das die ein- 
zelnen Elemente des Bildes allein in die Fläche gliedert und 
darin — hier liegt die Verbindung zu Velazquez — die große 
Wertschätzung Tizians erkennen läßt. 
1604/5 in Padua geboren, erhielt Forabosco seine frühe Ausbil- 
lung wahrscheinlich im Atelier Padovaninos, jenem Apologe- 
en Tizians, der retrospektiv malend die manieristische Krise 
in Venedig zu überwinden suchte. Forabosco öffnete sich 
auch den Einflüssen zeitgenössischer Barockmalerei. Der 
Römer Domenico Fetti und Bernardo Strozzi, der seit 1631 in 
Venedig malte, sind neben emilianischen Einflüssen prägende 
Gestalten für die künstlerische Formation Foraboscos, der wohl 
1654 nach Venedig übersiedelte. Sein ohnehin schmales Oeuvre 
indet Höhepunkte in den Porträtdarstellungen, wovon jenes 
3ildnis einer Edeldame in Wien (Kunsthistorisches Museum) 
zeugt und auch das großformatige Votivbild mit der Szene einer 
Rettung aus Schiffbruch in der Pfarrkirche zu Malamocco (zwi- 
schen 1664/1674 entstanden). M.H. 
Ausstellungen und Literatur: Seite 154
	        

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