Kat. Nr. 25
GUIDO RENI (1575-1642)
«DIE HEILIGE MAGDALENA»
Holz (Linde); 67 X 47,9 cm
Inv. Nr. G 10
Erworben: vermutlich vor 1712 durch Fürst Johann Adam Andreas I.
Unter den heute noch vorhandenen, Guido Reni zugeschriebe-
nen Werken in liechtensteinischem Besitz ist das Magdalenen-
bild die wohl früheste Komposition. Diese Darstellung der schö-
nen und reuigen Sünderin gehört in einen weiten Zusammen-
hang von Heiligenbildern im Werk Guido Renis. Das Thema der
bekehrten Dirne, die zur anhänglichsten und auch bevorzugten
JTüngerin Christi wurde und schließlich als erste seine Auferste-
hung bezeugte, war schon zu Renaissancezeiten ein geschätztes
Bildmotiv. Im Zusammenhang mit dem Tridentinum und
seinen gegenreformatorischen Bestrebungen und unter der
besonderen Obhut der Jesuiten erfährt die büßende Sünderin,
der nach ihrer Bekehrung die Gnade der Ekstase zuteil wird.
steigende Beliebtheit.
Auch Reni hat das Thema oft aufgegriffen, in ganzfigurigen
Kompositionen und Kniestücken und wohl am häufigsten als
halbfiguriges Einzelbild.
Schon zu seinen Lebzeiten waren diese Kabinett- und Andachts-
stücke äußerst begehrt und kursierten in Repliken, Kopien und
Derivationen, aber auch als Nachstiche in den Kabinetten der
Sammler und den Ateliers der Malerkollegen. Gerühmt wurde
Renis künstlerisches Genie wegen der «arie di teste», womit der
besondere Reiz seiner Antlitze bezeichnet wurde, und tatsäch-
lich ist wohl in den himmelwärts blickenden Figuren auch die
gelungenste Verkörperung von Affekten im Sinne des barocken
Ausdrucksideals zu sehen. Die liechtensteinische Magdalena
erscheint im Bildausschnitt als Figur ohne Umraum auf
schwarzem Grund. Das Inkarnat schimmert hell, die Figur wird
von oben erleuchtet. Göttliches Licht trifft in das Dunkel und
verbindet sich mit der Bewegungsrichtung der himmelnden
Figur — es ist also das Bild einer mystischen Vereinigung.
Die Schattenbildung und der starke Hell-Dunkel-Kontrast der
Tafel erinnern an die Bildschöpfungen Caravaggios. Doch hier
wird der dramatische Zusammenhang auf eine rhetorische Pose
reduziert. Gänzlich nackt ist die Heilige. Ihr Körper wird jedoch
durch das langgewellte, glänzende Haar verhüllt, und auch der
Verschattung wegen springt die Blöße nicht ins Auge des
Betrachters. Schon Renis zeitgenössische Panegyriker erkann-
‚en die motivische Herkunft seiner Figurenkompositionen. Die
Antike und ihre renaissancehafte Wiederkehr in den Werken
Raffaels, dessen himmelwärts schauende Heilige Cäcilie Reni in
Bologna ausführlich studiert und kopiert hatte, gaben die unmit-
telbaren Vorbilder ab. Die wiederentdeckten und ausgegrabenen
Antikenstatuen der Venus pudica und der gen Himmel blicken-
den Niobe sind in der Magdalena, wie auch in zahlreichen Bil-
dern anderer Maler jener Zeit, leicht wiederzuerkennen.
Doch bestimmt die eher klassizistisch römisch geprägte Anti:
kenrezeption nicht allein den Entwurf von Renis Magdalenen-
bild. Ebert-Schifferer bemerkte im Oeuvre des Venezianers
Tizian das wohl unmittelbarste Vorbild — auch für den Bild-
ypus. Seine Magdalenenbilder sind in vielen Versionen über-
liefert. Er hat die Heilige immer als Halbfigur nahezu frontal mit
erhobenem Kopf porträtiert. Die früheste Version, eine von
ihrem Haar umspielte und geschmückte Aktfigur, heute in Flo-
renz (Palazzo Pitti), kommt der liechtensteinischen Magdalena
in Komposition und Ikonographie äußerst nahe. In all diesen
Merkmalen entspricht die liechtensteinische Tafel dem künstle-
iischen Vermögen Renis. Malerische Virtuosität, die souveräne
Handhabung der Mittel, weist zudem besonders die Partie des
Kopfes auf. Und der Gesichtstypus bietet schließlich Kriterien
für die Datierung der Tafel, deren Holzkörper eine Rarität im
Jeuvre des Malers ist.
Pepper gab als erster 1515-16 als Entstehungszeitraum an,
womit wohl den vollen und sehr weichen Gesichtszügen, die nur
in der frühen Zeit Renis erscheinen, entsprochen wird. Doch im
Vergleich mit anderen Werken dieser römischen Epoche fällt der
weiche, auch offene und locker gesetzte Pinselstrich, besonders
der lichtmalerisch wirkenden Haarpartie auf. Diese Art der
Modellierung und Pinselführung ist eher charakteristisch für die
späten Werke des Künstlers. Ungereimtheiten birgt auch die
Figurenraumkomposition. Der Umraum der Figur fällt, unty-
jisch für Renis Bilder, gänzlich flach aus. Gerade Renis Halbfi-
zurenbilder zeichnen sich durch präzise Raumgliederungen aus.
Ift reicht allein die Darstellung der Gliedmaßen aus, um Raum-
zrenzen, auch jene zum Betrachter, herauszuarbeiten.
Hier zeigt die liechtensteinische Komposition eine Schwach-
stelle. Der linke Arm Magdalenas bleibt unplastisch, auch
wegen der fehlenden, anatomisch nicht überzeugenden Verkür-
zung und deutlich fällt der undefinierte Abstand zwischen der
Hand und dem Körper der Figur ins Auge. Ob diese Eigentüm-
‚ichkeiten der Tafel hinsichtlich der Urheberschaft eindeutig zu
<lären sind, muß an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Zu
<omplex und ungeklärt, trotz neuerer Bemühungen um den
Künstler, ist noch immer das Problem seiner Werkstatt, mit den
dort entstandenen Bildern — auch Kopien — und «ritocchi», das
sind die von Reni nur übergangenen Bilder seiner Mitarbeiter.
Guido Reni wurde 1575 in Calvenzano bei Bologna geboren.
Seine erste künstlerische Ausbildung erhielt er in der Werkstatt
Denys Calvaerts, eines in Bologna ansässigen Niederländers.
Um 1595 schloß sich Reni der Akademie der Carracci an. Er
schulte dort seine Begabung für das intensive Naturstudium, das
durch seinen römischen Aufenthalt (1600—-1613/14) in Ausein-
andersetzung mit dem Naturalismus Caravaggios entscheidende
Erweiterung erfuhr. 1614 kehrte Reni endgültig nach Bologna
zurück, wo er schon zu Lebzeiten als Hauptmeister der barocken
Malerschule galt. 1642 verstarb er dort. M.H.
Ausstellung und Literatur: Seite 153