Volltext: Fünf Jahrhunderte italienische Kunst aus den Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein

Kat. Nr. 16 
ALESSANDRO BONVICINO 
gen. IL MORETTO (um 1492/95 —1554) 
«“MARIA MIT DEM KIND UND DEM 
HEILIGEN ANTONIUS» (1540-45) 
Holz; 46,2 X 58,2 cm 
ınv. Nr. G 13 
zrworben: vermutlich durch Fürst Alois I. 
Die Madonna sitzt mit dem Kind vor einer kupferfarbenen, 
warm leuchtenden Stoffdraperie, die sie wie ein Baldachin hin- 
terfängt. Dieses Motiv erinnert noch an das Bild der «Madonna 
’n trono», das hier in das Intime eines Innenraumes versetzt 
wurde. Die Draperie wirkt gleichzeitig auch als Vorhang, der, 
zur Seite gerafft, nun einen Ausblick ins Freie gewährt. Dort ent- 
Zaltet sich eine Landschaft, die in Blautönen gehalten ist und 
arst in der Ferne Berge erkennen läßt. Das Geschehnis im 
Interieur hat also eine Bedeutung für die Welt. Der Heilige 
Antonius ist hinzugetreten. Die überkreuzten Arme auf den 
Pilgerstab gestützt, steht er vor dem Fenster, das Glöckchen ruht 
ın seiner Hand. Die Madonna sitzt, d.h. sie thront, leicht erhöht. 
Der Heilige, in Verehrung und inniger Zwiesprache mit dem 
Kind, steht tiefer, Es scheint, als würde er andächtig knien. Das 
Kind ist wohlig in den Schoß der Mutter gebettet. Die Hände 
Marias umfangen es und binden den kindlichen Körper mit ihrer 
Figur zusammen. Nur sein Blick und das gehobene Köpfchen 
mit dem leuchtenden Strahlenkranz in der Bildmitte richten sich 
auf den alten Heiligen. In einem Dreieck beziehen sich die 
Ziguren aufeinander. Versunken ruht der Blick des Antonius auf 
dem Kind. Auch die Madonna schaut eher meditierend auf das 
Kind und den Heiligen. Die Stimmung des Bildes ist getragen 
von der Stille einer «Sacra Conversazione». Moretto hat das 
Thema der großen venezianischen Altarbilder hier in ein inti- 
mes Kammerstück gewendet. Im Zentrum dieser eigentlich 
stummen Gespräche zwischen meist stehenden Heiligen, die 
sich um die thronende Madonna versammelt haben. steht das 
göttliche Kind. 
Es leuchtet auch hier im Mittelpunkt der nur kleinformatigen 
Tafel mit gleicher Intensität und läßt das Heilsgeschehen, seine 
Geburt, zum Thema privater Andacht werden. Diese meisterli- 
che Komposition variierte Moretto mit verschiedenen Heiligen- 
figuren zuweilen in seinem Oeuvre, wobei die Replik in Bor- 
deaux (Mus&e des Beaux-Arts) wohl als Werkstattwiederholung 
anzusprechen ist. 
Die thematische Gestaltung und die stimmungshafte Dichte der 
Farben lassen eine enge Verbundenheit der liechtensteinischen 
Tafel mit den venezianischen Entwicklungen erkennen. So weist 
die Tonigkeit und die warme Farbgebung auf das dort vorherr- 
schende Kolorit, zumal der Umhang des Antonius und auch das 
Kleid Mariens ursprünglich wohl einen stärkeren Rotton hatten. 
Die heute sichtbar dominante Weißfärbung muß als Resultat 
der farblichen Veränderungen verstanden werden, die die Tafel 
durch die Jahrhunderte erlitt. 
Doch nicht allein das Kolorit, sondern auch die Kompositions- 
form ist ganz eindeutig in venezianischen Zusammenhängen 
jeheimatet, die auch die Terraferma-Künstler, die den Typus 
der Halbfigurenbilder hochschätzten, mittrugen. Bereits Sebasti- 
ano del Piombos frühe, noch ganz Giorgione verpflichtete 
«Madonna mit Kind und zwei Heiligen» (Venedig, Galleria 
dell’ Accademia, ca. 1506) zeigt dieses Kompositionsschema. 
Zine verblüffende Übereinstimmung mit Morettos Tafel 1äßt 
sich hier in Details erkennen, vergleicht man etwa das Sitzmo- 
iv der Maria, die Gewandführung und den Vorhang, und selbst 
lie Fensterausblicke ähneln einander. 
<ur durch die stilistische Einordnung der Tafel in das Oeuvre 
Morettos ist eine annähernde Datierung möglich. Gombosis 
Vorschlag, 1540 bis 1545 als Entstehungszeitraum anzunehmen, 
ändet in der nachfolgenden Literatur durchgängig Bestätigung. 
Auch der Vergleich mit der ähnlichen, etwa gleich großen Kom- 
»osition «Madonna mit Kind und Engel» (Mailand, Pinacoteca 
li Brera, ca. 1540-1550) stützt diese Datierung. Denn hier, in 
lem späteren Gemälde, 1äßt sich trotz Übereinstimmungen in 
Draperie, Gewandgestaltung und Anlage des Mariengesichtes 
jezüglich der Komposition eine Verdichtung erkennen, die aus 
ler Vereinfachung der räumlichen Bezüge entstanden ist und 
Jleshalb auf den früheren Entstehungszeitpunkt der liechtenstei- 
ıischen Tafel schließen läßt. 
Alessandro Bonvicino, genannt Il Moretto, wurde 1492/1495 
'n Brescia geboren. Hier verbrachte er mit Ausnahme einiger 
Aufenthalte in Bergamo, Mailand und im Veneto bis 1554 
seine Lebenszeit. Ausgehend von der älteren brescianischen 
Tradition, die noch von Vincenzo Foppa verkörpert wurde, 
zelang Moretto die Verschmelzung zeitgenössischer lombardi- 
scher Einflüße mit den Errungenschaften der venezianischen 
Zenaissancemalerei, die nicht-nur mit dem frühen Retabel 
Tizians in San Nazaro e Celso in Brescia präsent war. Morettos 
zroßformatige Altarbilder zeigen häufig monumentale Gestal- 
‚en, wobei insbesondere seinen Frauenfiguren eine irdische, 
zuweilen fast bäuerliche Schwere eigen ist. Doch neben den von 
jefer Religiosität getragenen sakralen Kömpesitionen, in denen 
oft metallisch silbrige und erdhaft dunkle Farbtöne zusam- 
menklingen, gelangen ihm auch unvergleichliche, nahezu hero- 
ische Porträts, zu denen wohl auch jenes großformatige «Bild- 
2is der Heiligen Justina mit dem Einhorn und dem Stifter» in 
Wien (Kunsthistorisches Museum) zu zählen ist. M.H. 
Ausstellung und Literatur: Seite 150/151
	        

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