Kat. Nr. 15
MARCO BASATTT (dok. 1496-1530)
<«*MARIA MIT DEM KIND» (um 1500)
Holz; 64 X 51 cm
nv. Nr. G 846
Signiert: .BAXAITI. P. (unten auf Brüstung)
Erworben: 1887 durch Fürst Johannes II.
Marco Basaiti zeigt auf dem liechtensteinischen Madonnen-
Jildnis im Zentrum der Komposition Maria in Dreiviertelfigur
vor einer felsigen Berglandschaft, über die sich ein lichter Him-
nel zieht. Dieser Himmel verleiht der Tafel luftige Atmosphäre.
Die schwebenden, watteleichten Wolken umspielen in der Ferne
hohe Berge und evozieren Tiefenräumlichkeit. Im Vordergrund
des Bildes hält die Madonna das Kind, das auf einer brüstungs-
ähnlichen Steinplatte steht. Mit zarter Geste sichert sie seinen
Stand. Der blaue Marienmantel ist goldfarben ausgeschlagen
ınd umhüllt das nackte Kind wie eine Nische. Dabei ist die
Szene von Mutter und Kind nicht allein durch innige Zärtlich-
xeit charakterisiert. Das Kind wendet sich nicht der Mutter
zu. Mütterliche Zuneigung liegt allein in Mariens Blick und in
den zarten Gesten ihrer Hände. Wie auch auf anderen renais-
sancezeitlichen Madonnenbildern erschöpft sich hier Basaitis
<ünstlerische Absicht nicht im Genre, sondern er hat Mutter und
Kind als Sinnbild theologischer Heilsgewißheit dargestellt. Die
formale Strenge der Komposition ruft die Erinnerung an hiera-
sche Kultbilder wach. Die stehende Dreiviertelfigur und auch
die Haltung des segnenden Christuskindes, dem Gestus des Pan-
(Okrators nicht unähnlich, erinnern an die aus Byzanz ererbte
[konentradition, die in Venedig länger als an irgendeinem ande-
ren Ort in Italien lebendig war. Über den theologischen Sinnge-
halt der Tafel gibt die Figur des Kindes Auskunft. Der nackte
Knabe steht auf einer Steinplatte, die genau bis zur Bildmitte
-eicht und deshalb nur vordergründig als Brüstung zu bezeich-
nen ist. Denn durch den dunklen, und wie es scheint, auch tie-
fen Absatz, den die Mittelgrundslandschaft zum Vordergrund
nin bildet, entsteht die Allusion auf ein Grab'. Die Figur des
Kindes umfaßt also, einem Doppelspiel gleich, den Hinweis auf
den Tod. An das Kreuzesopfer des Erlösers erinnert auch die
Haltung der waagerecht erhobenen Arme. Doch der Segensge-
stus und das Standmotiv über dem Grab zeigen bereits den Tri-
umph Christi über die Passion. Malerisch offenbart Basaitis
Tafel demnach mit dem Moment der Geburt auch die Gewißheit
der Wiederauferstehung. Schutz und Ursprung dieser Heilsge-
wißheit ist die Madonna im Zentrum der Komposition. Denn
erst aus ihrem geöffneten himmelblauen Mantel, der auch die
Grabesplatte umschließt, entspringt das Erlöserkind und
erscheint in göttlichem Glanz vor der goldfarbenen Innenseite.
Dieser bildzentralen Bedeutung der Gottesmutter entspricht der
Hinweis, den der Kirchenbau auf der Felskuppe links im Bild in
Höhe des Marienkopfes bedeutet. Seit alters her symbolisiert er
das Haus Gottes als Bild für Maria’. Wie auch der Reiter, links,
bildet die Kirche auf dem Berg ein 1dyllisch-erzählerisches
Moment in der Landschaft, die, noch ohne eigentliche Tiefen-
räumlichkeit, eher flächenhaft wirkt. Doch zeigt sich gerade vor
dem Landschaftshintergrund mit dem geöffneten, unendlich
weiten Himmel, daß die ästhetische Wirkung der Tafel von
einer Ambivalenz lebt. Es ist das Wechselspiel zwischen einer
streng hieratischen, noch vom Kultbild herrührenden Tradition,
ınd dem Renaissancemoment, das sich in der differenzierten
Naturbeobachtung, z.B. der Lichtverhältnisse am Himmel,
»ffenbart. Die Kennzeichen renaissancezeitlich empirischen
3eobachtens sind auch in der Figurendarstellung auszumachen,
wobei der grundsätzliche Eindruck allerdings eher der einer
;kulpturalen Stofflichkeit ist. Besonders das vermittlungslose
Aneinandersetzen der unterschiedlichen Farbflächen scheint
hierfür verantwortlich. Ohne die Milde des Sfumato entstehen
scharfe Kanten. Auch Lichter werden eher flächig gesetzt. Doch
Jieses leicht hölzern wirkende, traditionelle Stilelement wird
durch ein feines Naturstudium der Schattenbildung aufge-
’angen. So wirft das von links vorn einfallende Licht nicht nur
5chlagschatten, auch Partien der Haut am Körper des Kindes
ınd der Mutter und Teile des Mariengewandes zeigen mild
dunkles Schattenlicht.
Diese gestalterische Feinheit und die elementare Nähe der liech-
‚ensteinischen Tafel Basaitis zu den Madonnenbildkompositio-
ı1en Giovanni Bellinis lassen Heinemanns Datierung in die
zrsten Jahre nach Jahrhundertbeginn plausibel erscheinen. Eher
im Anschluß an die Londoner Variante? läge ihre Entstehung
lamit noch in der Zeit der künstlerischen Prägung durch die Bel-
ini-Werkstatt.
Marco Basaiti wurde, griechischer Abstammung, um 1475/80
wohl in Venedig geboren, wo er zwischen 1496 und 1530 nach:
weisbar ist. Nach der wahrscheinlichen Mitarbeit in der Werk-
statt Giovanni Bellinis ist seine- Zugehörigkeit zur Werkstatt
Alvise Vivarinis dokumentiert, dessen Einfluß sich bis etwa
1510 dominant zeigt. Zwischen beiden Polen sind auch andere
stilistische Einflüsse im Oeuvre offensichtlich, wobei Basaitis
vermittelndes künstlerisches Temperament besonders in Por-
räts zu einem Ausdruck ruhiger Harmonie findet. Von den zahl:
‚eich erhaltenen Arbeiten sind mehrere signiert und datiert.
M.H
Eine identische Grabeskonstruktion zeigt Giovanni Bellinis Darstellung der
Pietä (Mailand, Pinacoteca di Brera) um 1470. Dort ist auch eine Inschrift ar
der ebenfalls verschatteten Stirnseite der Platte im Vordergrund angebracht.
Vgl. Kat. Nr. 7, Sebastiano Mainardi, «Maria mit dem Kind. dem Johannes-
Knaben und zwei Engeln».
Eine wahrscheinlich frühere Fassung der Komposition in London (The National
Gallery) zeigt die Madonna vor einem Tuch. Links und rechts davon blickt man
in eine Landschaft, die sich von der liechtensteinischen Tafel ehenfalls unter
scheidet
Ausstellungen und Literatur: Seite 150