Kat. Nr. 14
ANDREA DEL SARTO (1486-1530)
«DER HEILIGE JOHANNES DER TÄUFER» (ca. 1520)
Holz (Pappel); 65,6 X 50,9 cm
Inv. Nr. G 12
Erworben: vermutlich vor 1712 durch Fürst Johann Adam Andreas I.
Vor der unermeBlichen Tiefe eines schwarzen Grundes er-
scheint, in halber Körperlänge, vom Bildrand eng umgrenzt,
Johannes der Täufer in jugendlich schöner Gestalt. Dem Be-
trachter schräg den Rücken zukehrend, wendet er den Kopf
zurück über die linke Schulter, mit den Augen ein Ziel fixierend,
auf welches der Zeigefinger seiner rechten Hand bedeutungsvoll
hinweist. Bekleidet mit schwerem, leuchtend rotem Mantel und
dunkelbraunem Fell, bekundet die Halbnacktheit des Knaben
einen gleichwohl anspruchslosen Lebenswandel. Frühchrist-
lich-apokryphe und mittelalterliche Schriftquellen berichten‘,
über die Bibel hinaus, daß der Sohn von Elisabeth und Zacha-
rias bereits als Kind im tiefen Bedürfnis nach Einsamkeit und
Kontemplation immer wieder die Wildnis aufsuchte. Doch erst
nach seiner Begegnung mit dem Jesuskind, das in Begleitung
seiner Eltern aus Ägypten zurückkehrt, geht er schließlich in die
Wüste, um dort ein Leben in strikter Reue und Buße zu führen.
Das Fellgewand, dem ein schmales, über Schulter und Rücken
laufendes Band als Träger dient, charakterisiert Johannes, trotz
seines jugendlichen Alters, als Täufer. Von Priestern und Levi-
ten befragt, was er sei und warum er taufe, gibt Johannes zur
Antwort: «Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste:
Richtet den Weg des Herrn!» (Joh. 1, 23). «Ich taufe mit Was-
ser; aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennet.
Der ist’s, der nach mir kommen wird, des ich nicht wert bin, daß
ich seine Schuhriemen auflóse» (Joh. 1, 26-27), denn er wird
nicht mit Wasser, sondern mit dem Heiligen Geist taufen (Joh.
1, 33). So sind Blick und Finger des Tàufers auf Gottes Sohn
gerichtet, doch gilt die Geste einem Sohn, dem vom Vater der
Opfertod beschieden ist: «Siehe, das ist Gottes Lamm, welches
der Welt Sünde trágt !» (Joh. 1, 29), spricht Johannes, als Jesus
zu ihm kommt, die Taufe zu empfangen.
In sinnlicher Schónheit erstrahlt der liechtensteinische Johan-
nes, dessen weiches Gesicht von Erkenntnishelle und melan-
cholischer Vorahnung geprägt ist. Ein klares und übernatür-
liches Licht erfaßt seinen Körper, kommt von oben und von dort,
wohin er zeigt. Zeigen aber meint hier Zeugen, denn wie Johan-
nes der Evangelist berichtet, kam der Täufer, «daß er von dem
Licht zeugte, auf daß sie alle durch ihn glaubten. Er war nicht
das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht» (Joh. 1, 7-8).
So wird der Hinweis auf den Opfertod überhöht durch den Hin-
weis auf das Licht, das in die Finsternis dringt und gleichnishaft
den Tod besiegt.
Der Widerstreit von Licht und Finsternis wird durch Johannes’
Schrägstellung spannungsvoll gesteigert. Sinne und Geist sind
auf das Licht, auf das Leben in Christus gerichtet. Der Körper
aber vollzieht schon die Wendung ins Dunkel, in dem sich letzt-
lich auch des Täufers eigener Tod ankündigen mag.
Als «Prophet» und «Wegbereiter des Herrn» seit den Anfängen
christlicher Kunst von hoher Bedeutung, kommt Johannes dem
Täufer in Florenz darüber hinaus der besondere Rang des Stadt-
patrons zu?, dessen Bild in Malerei und Skulptur stets sich wan-
delnde Ausprügungen erfuhr. Nur selten jedoch zeichnet sich
dieses, auch in der Renaissance, durch eine dem liechtensteini-
schen Typus vergleichbare jugendliche Schónheit aus.
Obgleich das Gemälde rückseitig das liechtensteinische Vor-
mundschaftssiegel von 1733 trüg? und damit zum ältesten
Sammlungsbestand gehôrt, ist es nicht in dem von Vincenzo
Fanti 1767 verfaBbten Galeriekatalog erwähnt. Erst im Katalog
von 1780 erscheint es als Werk des Andrea del Sarto, eine
Zuschreibung, die von Bode geteilt wird. Während Berenson
unter Vorbehalt an ein Frühwerk Pontormos denkt, nimmt
Shearman es definitiv unter die authentischen Gemälde del Sar-
tos auf. Von den zwei bei Vasari genannten Darstellungen
Johannes des Täufers, die von der Hand del Sartos stamment*,
kônnte es, wie Shearman mutmaßt, sehr wohl jenes sein, das für
Anne de Montmorency gemalt, nicht jedoch ihr, sondern Otta-
vio de’ Medici von Andrea del Sarto aus unbekannten Gründen
übereignet wurde. Aus dessen Besitz mag es, über Umwege, in
die liechtensteinische Sammlung gelangt sein. Shearman weist
auch darauf hin, daß Vasari in seinem eigenen Gemälde der
«Madonna mit Heiligen» in San Sebastiano in Arezzo bei der
Figur des Sebastian auf den liechtensteinischen Johannes
zurückgegriffen und ihn daher erwartungsgemäß in seinen
«Viten» erwähnt habe.
Kopien des Gemüldes befinden sich in Florenz (Pitti, Potsdam
(Sanssouci), Lucca (Museo Nazionale), Neapel (Capodimonte)
und in Privatsammlungen. Stilistisch bringt Shearman die Tafel
mit der Wiener «Pieta» in Verbindung und datiert beide in die
Zeit um 1520.
Andrea del Sarto, 1486 in Florenz als Sohn eines Schneiders
geboren, war Schüler von Piero di Cosimo (vgl. Kat.Nr. 8). Ab
etwa 1506 machte er sich selbstándig und arbeitete mit dem ihm
befreundeten Maler Franciabigio einige Jahre in enger Werk-
stattgemeinschaft. Abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in
Fontainebleau, wohin ihn der franzósische Kónig Franz I. 1518
berief, lebte und arbeitete del Sarto fast ausschließlich in Flo-
renz. Zu seinen Schülern gehórten Pontormo und Rosso Fioren-
tino. Neben Fra Bartolomeo war Andrea del Sarto der bedeu-
tendste Maler der florentinischen Hochrenaissance. U.W.
! Vgl. M. A. Lavin (Siehe Kat. Nr. 7, Anm. 1), S. 85 und Anm. 5, sowie S. 86/87
und Anm. 19.
? Vermutlich führten schon die Langobarden im Verlauf des 7. Jahrhunderts das
Patronat Johannes des Táufers in Florenz ein.
* Fürst Joseph Wenzel (1696-1772), der 1733 die vormundschaftliche Regierung
für den minderjährigen Fürsten Johann Nepumuk Karl (1724-1748) führte, ließ
jene Gemälde, die zur Fideikommißgalerie gehörten, durch ein Siegel von den-
jenigen unterscheiden, die Teil seiner eigenen Privatsammlung waren.
^ Das zweite Gemälde ist jenes in der Galleria Palatina (272), einst Besitz Cosi-
mos I. de’ Medici.
> Nicht identisch mit dem in Anm. 4 erwähnten Gemälde.
Ausstellung und Literatur: Seite 150