Volltext: Fünf Jahrhunderte italienische Kunst aus den Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein

Kat. Nr. 13 
FRANCIABIGIO (1482-1525) 
«MARIA MIT DEM KIND UND DEM 
JOHANNESKNABEN» (ca. 1522-24) 
Holz (Pappel); 120,5 x 90,2 cm; signiert mit Monogramm 
Inv. Nr. G 254 
Provenienz: Johann Adam Braun, bis 1790 
Erworben: 1790 durch Fürst Alois I. 
Dem insbesondere während der Renaissance beliebten Thema 
der Gottesmutter mit dem Christuskind und dem jungen Johan- 
nes hat auch Franciabigio in mehreren Gemälden Gestalt gege- 
ben. Mit der liechtensteinischen Tafel gelang ihm innerhalb des 
eigenen Oeuvres eines seiner letzten großen Werke. Es schildert 
vermutlich jenen Moment, da die Heilige Familie auf ihrer 
Rückreise von Ägypten dem zurückgezogen in der Wildnis 
lebenden Johannesknaben begegnet!'. Während Josef, vielleicht 
in dem Bemühen um Nahrungserwerb, mit Wanderstab vor den 
Toren einer mittelalterlich verwinkelten, nordisch aussehenden 
Stadt erscheint, haben sich Maria und die Kinder am Fuße eines 
bewaldeten Hanges auf felsigem und von Gras überwuchertem 
Grund niedergelassen. 
Die kompositorisch ausgewogene Figurengruppe ist von sanfter 
Bewegung durchströmt. Sie erwächst aus dem inneren, in ver- 
schiedenen Wendungen und Richtungen der Körper und Blicke 
sich ausdrückenden Beziehungsgeflecht der drei Personen. 
Umhüllt von stoffreichen, weich fließenden Gewändern, unter 
denen gleichwohl die Formen weiblicher Fruchtbarkeit erkenn- 
bar bleiben, neigt sich Maria in mütterlicher Zärtlichkeit ihrem 
nackten, sich an sie schmiegenden Sohn zu. Er hält ihr ein 
Spruchband mit der Aufschrift ECCE AGN(US DEI)* entgegen, 
das seinen Opfertod ankündigt. Jesus gegenüber, unter dem 
schützenden Arm Marias, sitzt Johannes, mit einem kurzen 
Stabkreuz in der Hand. Ein dürftiges Fellgewand weist ihn als 
künftigen Täufer Christi aus. Wachen Blickes schaut er den 
Betrachter an und lenkt die Aufmerksamkeit mit ausgestreck- 
tem Zeigefinger auf den Gottessohn, um dessen Schicksal somit 
nicht nur die Mutter weiß. 
Während Maria und Johannes in sicherer Haltung sitzen, nimmt 
das Christuskind eine eigentümlich instabile Pose ein. Unter sei- 
nen stark angewinkelten Beinen öffnet sich ein dunkler Erdspalt, 
der wie eine versteckte Anspielung auf das Felsengrab er- 
scheint, in welches Christi Leichnam nach der Kreuzigung ge- 
legt wurde. Doch ungeachtet aller Hinweise auf die Passion 
erfüllt nicht Bedrückung das stille Geschehen, sondern eine zart 
melancholische Stimmung, die ihren schönsten Ausdruck in den 
weichen Gesichtszügen der Gottesmutter findet. Sie mag ahnen, 
daß dem Tod neues Leben folgt, denn wohl nicht ohne Absicht 
erhebt sich, dem Hintergrund anvertraut und doch dem Kind 
zugeordnet, über einem zum nackten Torso heruntergeschnitte- 
nen Baum ein anderer, der prachtvoll grünes Blattwerk treibt. 
Mensch und Landschaft sind von einem kühlen, aus graube 
wölktem Himmel fallenden Licht erfaßt. Es verleiht allem 
Sichtbaren eine gedämpfte, dem kontemplativen Sinngehalt des 
Bildes angemessene Farbigkeit. 
Franciabigios Komposition liegt, wie schon McKillop, später 
auch Christiansen ausführt, Raffaels «Madonna dell’Impan- 
nata» (1513-14, Florenz, Galleria Palatina) zugrunde. Auch die 
von McKillop vergleichend herangezogene «Heilige Familie 
mit Stifter» (London, The National Gallery) von Sebastiano del 
Diombo könnte Vorbildfunktion gehabt haben, setzte jedoch 
einen Romaufenthalt Franciabigios voraus, den sowohl McKil- 
lop, als auch Freedberg? vermutet, der jedoch nirgends do- 
<umentiert ist und letztlich Vasaris Aussage widerspricht, 
Franciabigio habe Florenz niemals verlassen. So beurteilt 
Christiansen die kompositorischen Übereinstimmungen als 
zufällig und weist den Vergleich zurück. Statt dessen führt er als 
weitere Inspirationsquelle Agostino Venezianos 1516 geschaf- 
fenen Stich mit Venus und Amor an, der auf Raffaels Fresken- 
lekoration im Bad des Kardinals Bibbiena im Vatikan beruht. 
Dort sei bei Venus die Haltung der Maria vorformuliert, insbe- 
sondere aber die nach rechts aus der Bildmitte herausgerückte 
Figurengruppe durch eine Landschaft zur Linken ausbalanciert. 
Enge stilistische Parallelen sieht er schließlich auch zu del Sarto, 
Dontormo und Rosso Fiorentino. Doch woher Franciabigio 
seine Anregungen auch erhalten haben mag — und Raffael ver- 
dient hier gewiß als erster erwähnt zu werden —, die liechten- 
steinische Tafel weiß als durchaus schöpferische Eigenleistung 
zu überzeugen. 
[m liechtensteinischen Inventarmanuskript von 1805 erscheint 
las Gemälde noch als Werk Raffaels. Die Galeriekataloge von 
‚873 und 1885 erwähnen schließlich den florentinischen Maler 
Giuliano Bugiardini (1475-1554), dem auch Bode die Tafel 
zuschreibt, was umso unverständlicher erscheint, da sie Fran- 
ciabigios häufig verwendetes Monogramm am Mantelsaum 
Marias trägt. Erst Berenson nahm 1909 die auf Grund dieses 
VMonogrammes unzweifelhafte Zuweisung des Werkes an Fran- 
ciabigio vor. Lediglich Knapp und Venturi hielten an Bugiardini 
als Urheber fest. Die Beurteilung des Gemäldes als Spätwerk 
Franciabigios wird in der Literatur allgemein.anerkannt. Die 
Datierung schwankt zwischen 1518 (Sricchia Santoro) und 
524 (Christiansen). McKillop schlägt 1521 bis 1522 vor. 
Anhaltspunkte zur Einordnung in Franciabigios Oeuvre bilden 
das 1522 datierte «Porträt eines Mannes» (Berlin, Gemäldega- 
‚erie) und «David und Bathseba» (Dresden, Gemäldegalerie), 
welches 1523 datiert ist. U.W. 
Vgl. M. A. Lavin (siehe Kat. Nr. 7, Anm. 1), S. 87, sowie Anm. 14 und 19 ebd. 
* «Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt» (Joh. 1, 29). 
$. J. Freedberg, Painting in Italy 1500 to 1600, 1979, S. 96. 
Ausstellungen und Literatur: Seite 150
	        

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