Kat. Nr. £
PIERO DI COSIMO (1461/62-1521)
«MARIA MIT DEM KIND UND DEM
JOHANNESKNABEN» (ca. 1505-10)
Holz (Pappel); 72 X 53,6 cm
Inv. Nr. G 264
Erworben: vermutlich vor 1712 durch Fürst Johann Adam Andreas I.
[n sattgrüner, hügeliger Landschaft sitzt Maria demutsvoll auf
dem Erdboden, in ihrem Schoß das nackte Christuskind hal-
tend. Sie trägt ein mit filigranen Goldstickereien besetztes, rotes
Kleid, dessen Ärmelansätze leicht geschlitzt sind, sowie einen
blauen Umhang mit grünem Futter. Um die Schultern hat sie
einen schmalen, gelbblau changierenden Schal geschlagen, der
sich über ihrer Brust kreuzt. Ihr Kopf, von einem feinen Nimbus
hinterfangen, ist leicht nach rechts geneigt. Das Christuskind
hält die rechte Hand zum Segen erhoben, gleichsam der ganzen
Welt geltend, in die sein frischer, unbekümmert freundlicher
Blick fällt. Hinter seinem gelockten Köpfchen erscheint ein
Kreuznimbus. Johannes, als junger Knabe, gesellt sich zur
Rechten hinzu. Er schaut das Kind an, die Hände im Gebet
zueinandergeführt, in die linke Armbeuge das Stabkreuz
gelehnt. Ein dürftiges Gewand aus Kamelhaar kennzeichnet ihn
als den künftigen Täufer des Gottessohnes!.
In das Geäst eines knorrig verwachsenen, vielleicht neu aufkei-
menden Baumstrunkes zur Rechten Marias ist ein aufgeschla-
genes Buch mit rotem Einband und goldener Schließe gelegt,
möglicherweise ein Meß- oder Stundenbuch, wahrscheinlich
jedoch die Heilige Schrift, in welcher die Geburt des Sohnes
angekündigt wird. Sie ist nunmehr erfüllt*. Marias Blick hat sich
vom Buch entfernt, ist versonnen nach unten gerichtet, wohl auf
jene zeichenhaft aufwachsenden, in zarter Blüte stehenden Blu-
men, unter denen Nelken, als Symbol der künftigen Passion
Christi, erkennbar sind.
Hinter Maria erhebt sich ein zum fruchtbaren Grün der Natur in
absichtsvollem Kontrast stehender, dürrer, nur noch vereinzelt
Blattwerk treibender Baum, dessen Gestalt unmittelbar an das
Kreuz Christi erinnert. In seine schräg nach links und rechts aus-
greifenden Äste ist ein schwarzes, eigenwillig umgedeutetes
Ehrentuch gehängt, das Marias Gesicht, ihr feines Inkarnat und
das Rot ihres Kleides nur umso heller aufstrahlen 1äßt. Wie der
Gekreuzigte selbst aber hängt am Baum das Tuch, dessen wul:
stige Knoten sich greifbar gegen das Blau des wolkenlosen Him-
mels abheben und im Schmerz zu Fäusten geschlossenen Hän-
den gleichen. Weder die Hirten, die sich mit ihren Tieren auf
einer Anhöhe pastoraler Ruhe überlassen — man denkt an jene,
denen nachts der Engel erschien und die frohe Botschaft ver-
kündete —, noch die Stadt, die friedvoll im Tale liegt, von dicht
belaubten Bäumen umsäumt, vermögen die dunkle Ankün-
digung des Todes Christi aus der Mitte des Bildes heraus zu
verdrängen.
Während die frühen liechtensteinischen Kataloge das Gemälde
zunächst Perugino, später Bugiardini, den auch Bode als
Urheber akzeptierte, zuschreiben, brachte Berenson es 1896
erstmals mit Piero di Cosimo in Verbindung. Knapp. Haberfeld
und Venturi, Freedberg, Christiansen und andere Autoren folg-
ten seiner Meinung. Allein Bacci (1966) stellt diese Zuschrei-
ung in Frage und beurteilt das Bild als frühe Kopie nach einem
verlorenen Werk Pieros. Bestenfalls im Gesicht Marias vermag
sie die Hand des Meisters zu erkennen, der die Vollendung des
Gemäldes schließlich einem mittelmäßigen Gehilfen überlassen
1abe. Tatsächlich zeichnet sich das sinnlich modellierte Inkar-
1at des Mariengesichtes durch ein auffällig zartes Widerspiel
von Licht und Schatten aus. Dessen hohe, malerische Qualität
unterliegt gleichwohl der homogenen Einbindung in die Gesamt-
arscheinung des Bildes, das jenen Werken zur Seite gestellt
werden kann, die Piero zwischen 1505 und 1510 schuf.
Piero di Cosimo, vermutlich in Florenz geboren, war Schüler
des Cosimo Rosselli, dessen Namen er sich, in tiefer Verbun-
denheit zum Lehrer, aneignete. Über sein Leben und Werk
’erichten fast ausschließlich die «Viten» Vasaris?, der den Maler
in mittelbaren Vergleich zu Giorgione und Correggio setzt. Eine
solche Einschätzung vermag heute nicht mehr zu überzeugen.
Dennoch gehört Pieros Oeuvre zu den großen Leistungen der
‚lorentinischen Malerei an der Schwelle von der Früh- zur
Hochrenaissance. Es zeigt sich vorrangig durch Signorelli,
Chirlandaio, Filippino Lippi und Leonardo, aber auch durch die
Niederländer, etwa Hugo van der Goes, beeinflußt. Piero selbst
wiederum wirkte auf Maler wie Andrea del Sarto, dessen Leh-
ter er war, auf Franciabigio und Pontormo. Vasari, der im Tone
der Sympathie schreibt, versäumt es gleichwohl nicht, auf das
Eigenwillige, ja mitunter Kauzige in der Persönlichkeit Pieros
hinzuweisen. Nicht selten spiegeln sich derartige Neigungen
auch in seinen Gemälden wider, die auf die Originalität und
Exzentrik des Manierismus vorauszuweisen scheinen. U.W.
' Vgl. M. A. Lavin, in: (siehe Kat. Nr. 7, Anm. 1).
° Vgl. Jesaja 7, 14, bzw. Matthäus 1, 23.
* Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, von Cimabue
bis zum Jahre 1567, beschrieben von Giorgio Vasari, Maler und Baumeister,
(1568). Aus dem Italienischen. Bearbeitet von Ludwig Schorn und Ernst För-
ster, Bd. 3. 1. Abt., Stuttgart und Tübingen 1843, S. 75-88.
Ausstellungen und Literatur: Seite 148