Volltext: Fünf Jahrhunderte italienische Kunst aus den Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein

Kat. Nr. 
SEBASTIANO MAINARDI (um 1460-1513) 
«MARIA MIT DEM KIND, DEM JOHANNESKNABEN 
UND ZWEI ENGELN» (um 1500) 
Holz (Linde); Durchmesser 81,7 cm 
Inv. Nr. G 853 
Erworben: 1890 durch Fürst Johannes II. 
Die erste Begegnung zwischen Jesus und Johannes fand, wie Fra 
Domenico Cavalca, ein um 1260 bei Pisa geborener Dominika- 
nermönch, berichtet‘, bereits in beider frühester Kindheit statt. 
Elisabeth und Zacharias, die Eltern des Johannes, begaben sich 
mit ihrem sechs Monate alten Sohn nach Bethlehem, um das 
neugeborene Christuskind zu sehen. In das Zimmer eines italie- 
nischen Palastes scheint die Szene verlegt, die gemäß Cavalca 
im bethlehemitischen Stall stattfand. Maria hält das Kind auf 
ihrem rechten Oberschenkel, greift vertraulich um Kinn und 
Wange des vor ihr stehenden Johannesknaben, dem nicht die 
Eltern, sondern zwei Engel als innig stumme Zeugen eines 
großen Ereignisses zur Seite gestellt sind. 
Durch zwei gekuppelte Rundbogenfenster fällt der Blick hinaus 
in eine teils nordisch, teils mediterran geprägte Landschaft. Sie 
steht beispielhaft für die ganze Welt, in die Gottes Sohn gebo- 
ren wurde. Einem Attribut gleich mag Maria die im linken Fen- 
ster sichtbare Kirche als Haus Gottes (domus Dei) zugeordnet 
sein. Seit altchristlicher Zeit wurde sie dieser gleichgesetzt, da 
Christus während seiner Menschwerdung in ihr wie in einem 
Haus wohnte, sie selbst durch ihn zum Haus Gottes wurde. In 
der Nacktheit des Kindes ist die Inkarnation des Herrn sinnfäl- 
lig unterstrichen. Das rechte Fenster gibt den Blick auf einen mit 
gondelgleichen Booten belebten See, vielleicht auch das offe- 
ne Meer frei, über dessen Ufer sich eine Stadt mit hohen 
Geschlechtertürmen erhebt. Vergleichbar stechen noch heute 
die Verteidigungstürme der mittelalterlichen Adelsfamilien wie 
stumpfe Lanzen in den Himmel über San Gimignano, der mut- 
maßlichen Geburtsstadt Sebastiano Mainardis, welche auch 
nach dem Machtverlust des städtischen Adels auf das sonst übli- 
che Schleifen dieser Bauwerke verzichtete. 
Obgleich im zarten Kindesalter, das durch Pausbacken und 
üppige Fettpölsterchen wirklichkeitsnah gekennzeichnet ist, 
sind sich Jesus und Johannes ihres künftigen Geschicks wohl 
bewußt. Nackt auf einem Kissen sitzend, vollzieht das Christus- 
kind mit seiner rechten Hand den Segen gegen Johannes, hält in 
der linken eine rote Blüte oder Frucht, die als Symbol seiner spä- 
teren Passion gedeutet werden darf. Johannes hingegen, die 
Arme andächtig vor der Brust gekreuzt, trägt ein ärmelloses 
Kleidchen, dessen Futter aus Kamelhaar besteht. Es charakteri- 
siert ihn als den kommenden Täufer Christi. Sein in die linke 
Armbeuge gelehntes Stabkreuz ist als weiterer Hinweis auf den 
Opfertod des Gottessohnes zu verstehen, dem Johannes als 
«Vorläufer» und «Wegbereiter» vorangeht. 
Wenige Grundfarben wie Rot, Blau, Grün und Gelb dominieren 
das Kolorit des als Tondo (Rundbild) geformten Gemäldes. Sie 
setzen sich kräftig gegen das Grau der Palastinnenwand ab. Dif- 
ferenzierte Farbabstufungen bestimmen dagegen die Inkarnate. 
Ihnen unterliegt eine Schicht aus verde terra-Pigment, welche 
der Haut einen leicht grünlichen Schimmer verleiht. In feinster, 
der Temperamalerei eigentümlicher Strichelung ist zarthelles 
Rosa aufgelegt, das sich partiell zu auffälligen Glanzlichtern 
verdichtet. So eignet den Personen eine unfleischliche, fast 
wächserne Erscheinungshaftigkeit, die durch die Inkohärenz der 
innerbildlichen Lichtführung noch verstärkt wird. Dem durch 
die Fenster einfallenden Tageslicht wirkt von rechts eine zweite, 
unbestimmt irreale Lichtquelle entgegen. 
Neben dem liechtensteinischen Tondo existieren zahlreiche 
andere Repliken in öffentlichen und privaten Sammlungen, die 
Mainardi allesamt eigenhändig nach seinem heute im Louvre 
(Paris) verwahrten Gemälde ausführte. Um der Eintönigkeit 
ständiger Wiederholungen dieses beliebten Andachtsbildes zu 
entgehen, hat er das Thema vielfältig variiert. So ändert sich 
veispielsweise die Anzahl der Engel, die verschiedentlich 
üppig blühende Lilien tragen. Besonders aufwendig präsentiert 
sich die Replik des Museo Nazionale in Neapel. Das liechten- 
steinische Bild erweist sich hingegen als eher schmucklos 
schlichte Variante. 
Sebastiano Mainardi gehört zu den minder bedeutenden 
Künstlerbegabungen der italienischen Renaissance. Er wurde 
ım 1460 vermutlich in San Gimignano geboren und ist urkund- 
lich erstmals 1494 nachweisbar. Schon in den siebziger Jahren 
wird er in der Werkstatt des florentinischen Malers Domenico 
Ghirlandaio gearbeitet haben, dessen Schwester er heiratete. 
Stilistisch seinem Meister verpflichtet, konzentrierte sich sein 
Wirkungsbereich auf Florenz. Gelegentlich führten ihn Auf- 
:;räge auch nach San Gimignano und Pisa, U.W. 
Cavalcas zwischen 1320 und 1342 verfaßte «Vita di San Giovanni Battista» 
»erücksichtigt sowohl östliche Apokryphen, als auch die «Meditationes Vitae 
Christi» (Vgl. Kat. Nr. 1). Ihren Einfluß auf die Ikonographie der Johannesge- 
stalt in der italienischen, insbesondere der florentinischen Malerei erhellt der 
Aufsatz von Marilyn Aronberg Lavin: «Giovannino Battista: A Study in 
Renaissance Religious Symbolism», in: Art Bulletin 37, 1955, S. 85-101 (siehe 
vor allem S. 87 und S. 90, Anm. 30). 
Ausstellung und Literatur: Seite 147/148
	        

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