Kat. Nr. 61
MASSIMILIANO SOLDANI BENZI
(1656-1740)
«BACCHANAL» (Florenz, 1695-97)
Bronze, rotgoldene Lackpatina
Hóhe 56,5 cm, Breite 77,5 cm
Inv. Nr. S 827
Erworben: 1697 nach Auftrag durch Fiirst Johann Adam Andreas I. vom Kiinstler
Bacchus und seine Gemahlin Ariadne haben ihren Triumph-
wagen mit dem Panthergespann verlassen und rasten an einem
schattigen Platz inmitten einer anmutigen Landschaft, einem
«locus amoenus». Im Hintergrund sind antikisierende Bauten
erkennbar. Das Paar ist gänzlich mit sich selbst beschäftigt und
nimmt, den Wein in Händen haltend, vom bukolischen Gesche-
hen in seiner nächsten Umgebung kaum Notiz, wo sich das
Gefolge des Weingottes ausgelassen tummelt. Rechts erscheint
Silen; er ist von seinem Esel gefallen und wegen seiner Trun-
kenheit zu keiner kontrollierten Regung mehr fähig. Links dane-
ben sitzt ein Bacchant, der sich umwendet, um zwei sich bal-
gende Putten zu trennen. Hinter ihm hat eine stehende
Bacchantin ein Sistrum in der Rechten emporgehoben, sich
einer Herme des Priapus zuwendend. Am linken Bildrand blickt
ein älterer, mit Weinlaub bekränzter Satyr zu einer jungen,
beckenschlagenden Bacchantin empor. Daneben wiederum
spielen Putti lebhaft mit einem Ziegenbock. Ein vor ihnen auf
einem Panther stehender Satyrknabe umgreift ein ampho-
renähnliches Prunkgefäß. In der Mitte der oberen Bildhälfte
schwingen zwei Putti ein Tierfell durch die Luft.
Gleichzeitig mit seinem ersten Bronzerelief für Fürst Johann
Adam, der allegorischen Darstellung «Der Friede umarmt die
Gerechtigkeit», sandte Soldani seinem Mäzen ein Wachsmodell
mit dem Triumph des Bacchus. Damit entsprach er einem Wun-
sche des Fürsten nach einem Relief mit «qualche Scherzo bac-
canale». Das Modell war zwar «in tausend Stücke zerbrochen»
in Wien angekommen, dennoch scheint Fürst Johann Adam
überzeugt gewesen zu sein, daß es «una cosa molto bella» wäre.
Im März 1695 gab er die Ausführung in Bronze in Auftrag. 1697
kam das fertige Relief nach Wien, das der Künstler voller Stolz
als eines der besten zu seiner Zeit in Florenz entstandenen
Werke bezeichnete. Die Einschätzung Soldanis erscheint kei-
neswegs unangemessen, denn das Bacchanal gehört zu seinen
ambitioniertesten Werken. In seiner virtuosen Gestaltungsweise
und der perfekten technischen Ausführung mit einer raffinierten
Ziseliertechnik kann es als ein Höhepunkt spätbarocker Relief-
kunst angesehen werden. In feinsten Abstufungen erscheinen in
dem Relief zahlreiche Figuren, die zum Teil sehr plastisch aus
dem Bildfeld heraustreten. In der Dichte der Komposition erin-
nert es, wie bereits wiederholt beobachtet wurde, an Gemälde
Pietro da Cortonas.
Soldanis Bacchanal scheint das kurz zuvor entstandene Gedicht
«Bacco in Toscana» von Francesco Redi plastisch umzusetzen,
im Sinne des klassischen horazischen «Ut pictura poesis». Wie
das Gedicht die wohltuende Wirkung des Weins preist, so
behandelt das Relief ein thematisch engstens verwandtes Sujet.
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Bereits ein Jahrzehnt zuvor hatte Soldani eine Medaille für Redi,
der auch Leibarzt bei Hofe war, mit verschiedenen Rückseiten
geschaffen, die auf dessen Fähigkeiten als Arzt, Philosoph und
Dichter anspielen. Eine der Rückseiten zeigt eine bacchantische
Szene, die sich unstreitig auf Redis Versepos bezieht.
Das Relief enthält vielfältige Motive, die auf sehr komplexe
Weise in Zusammenhang mit dem Thema des Bacchanals ste-
hen. In seinem Brief an Fürst Johann Adam, in dem Soldani sein
Werk offerierte, sprach der Künstler von zahlreichen «Gerogli-
fici attenenti alle feste baccanalesche», gab dem Werk also einen
typisch barocken, änigmatischen Charakter. Ergänzt werden
sollten diese Hieroglyphen durch bacchantische Symbole auf
einem gesondert anzufertigenden, bronzenen Rahmen, der
durch partielle Vergoldung die kostbare Erscheinung noch ver-
stärkt hätte. Leider hat sich dieser Rahmen nicht erhalten, falls
er überhaupt geliefert wurde, was nicht dokumentiert ist.
Montagu ist die Beobachtung zu verdanken, daß der ältere
Satyr links ein nahezu wörtliches Zitat aus der bildnerischen
Komposition des sogenannten Martelli-Spiegels im Victoria &
Albert Museum in London darstellt, der lange Zeit hindurch als
Arbeit Donatellos galt. Es sei die «Begeisterung für die Natur»,
die so verschiedenartige und ungleichzeitige Arbeiten wie den
Martelli-Spiegel und das Bacchanal miteinander verbinde.
Unter den zahlreichen bacchantischen und erotischen Motiven
des Reliefs befinden sich, wie Raggio nachwies, Symbole «aus
verschiedenen antiken wie zeitgenössischen Quellen der Litera-
tur und bildenden Kunst:...sich küssende Schlangen, schná-
belnde Tauben, ... Putten, die einen Ziegenbock liebkosen — von
denen einer (wie bei Catull, Carmina 64, 258) eine Schlange um
den Hals trágt». Die reich bewegte Szenerie kulminiert, wie Rag-
gio treffend beobachtete, in der zentral angeordneten Mánade,
die rauschhaft ihr Sistrum emporhält, «das Instrument der Isis,
der Gôttin der Natur — als wolle sie den Triumph der Naturkräfte
als wahre Bedeutung der ganzen festlichen Szene verkünden».
Im Gegensatz zu Soldani und wohl auch zum kunstinteressier-
ten Florentiner Publikum scheint das Bacchanal letztlich doch
nicht dem Geschmack des Fürsten entsprochen zu haben. Dies
läBt sich indirekt einem Schreiben Soldanis an seinen Auftrag-
geber entnehmen, in welchem er mit schmeichelnden Worten
eingestand, daß einem an der Antike geschulten Auge ein
modernes Kunstwerk niemals genügen könne. Bereits zuvor
hatte der Künstler, vielleicht in Vorausahnung einer Enttäu-
schung seines Auftraggebers, zu verstehen gegeben, daß man
das Bacchanal nicht mit Werken der Antike vergleichen dürfe.
V.K.
Ausstellungen und Literatur: Seite 161