Kat. Nr. 54
GIANFRANCESCO SUSINI (dok. 1610-1653)
«VENUS STRAFT DEN AMORKNABEN»
(Florenz, 1638)
Bronze, goldbraune Patina, Reste dunkelbraunen Lacks
Höhe 58,5 cm
Auf der Rückseite des Baumstrunks bezeichnet:
“O, FR, SYSINI. FLOR. FAC/MDCXXXVIN
inv. Nr. S542 a
Srworben: vor 1658 vermutlich durch Fürst Karl Eusebius
Eine stehende, nackte Frauenfigur weist mit dem ausgestreckten
Zeigefinger ihrer über den Kopf erhobenen Linken demonstra-
tiv nach oben, während sie mit der Rechten, in der sie einen
Rosenstrauß hält, ausholt, um ein an einen Baumstrunk gefes-
seltes, nacktes Knäblein links neben ihr zu züchtigen. Das geflü-
gelte Kind versucht das bevorstehende Unheil abzuwenden:
Sein Kopf ist angsterfüllt zurückgeneigt, die Linke in Abwehr-
ıaltung erhoben, während die zum Rücken geführte Rechte den
bevorstehenden Streich abfangen will. Unterhalb des Kindes
hängt an einem Ast ein Köcher mit Pfeilen.
Die Bronze wird im liechtensteinischen Inventar von 1658
beschrieben: «Item ein Venus undt Cupido auf einem Baum
steigent, undt Venus mit... auf den Hintern streichet». Zu der
Figurengruppe gehört ein sich ebenfalls in der liechtensteini-
schen Sammlung befindliches Gegenstück, das die Entwaffnung
des Liebesgottes, die Verbrennung seiner Pfeile, zum Thema hat
Kat. Nr. 55). Auf beiden Bronzen ist dasselbe Entstehungsda-
:um, 1638, vermerkt, doch müssen die jeweiligen Modelle nicht
ınbedingt gleichzeitig entstanden sein. Susinis Biograph Bal-
dinucci erwähnt lediglich die Gruppe mit der Verbrennung der
Yfeile. Eine unterschiedliche Datierung der Kompositionen aus
stilistischen Gründen scheint allerdings kaum möglich.
Dem Thema der von Venus vorgenommenen Züchtigung des
Liebesgottes, dessen Pfeile nicht nur unverfängliche Liebe, son-
dern auch prekäre Situationen verursachen können, liegen
literarische Quellen zugrunde. Maclagan verwies in Zusam-
menhang mit der liechtensteinischen Bronze auf eine Ekloge
des Dichters Ausonius aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., «In qua
Cupido cruciatur», in der der an einen Myrtenbaum gefesselte
Liebesgott gegeißelt wird. Er erwähnte auch ein anderes, der
Entstehung der Bronze zeitlich näherstehendes gewaltiges
Epos des bedeutenden Barockpoeten Giambattista Marino,
«Adone», in dem entsprechend der Bronze Rosenzweige als
Geißelwerkzeuge dienen. Hinsichtlich der Fesselung Amors
unterscheidet sich die liechtensteinische Gruppe von anderen
Kleinbronzen, die die Bestrafung des Liebesgottes illustrieren,
zum Beispiel eine oberitalienische Statuette in Klosterneuburg,
wo Venus ein Bein des am Boden liegenden Knäbleins umgreift;
Unterschiede zeigen sich auch im Vergleich mit graphischen
Darstellungen, zum Beispiel Kupferstichen von Agostino Car-
racci und Giovanni Luigi Valesio.
Jie Frauenfigur macht deutlich, in welch hohem Maße Giam-
bolognas Kompositionen vorbildlich für Susini waren. In ihrer
Bewegung erweist sie sich als Paraphrase von Giambolognas
verbreiteter Fortuna-Statuette. Susini veränderte seine Figur vor
allem in der Haltung des Kopfes, der nicht himmelwärts blickt,
sondern sich Amor zuwendet. Aus der konzentriert aufgebauten
Einzelfigur Giambolognas entwickelte Susini eine erzähleri-
sche, in sich geschlossene Gruppenkomposition mit einer domi-
1ierenden Schauseite, die sich als Werk einer neuen Epoche zu
erkennen gibt. Trotz des anekdotischen Charakters wird jedoch
sin allzu genrehafter Eindruck, besonders aufgrund der in ihrer
Wirkung geradezu monumentalen Frauenfigur, vermieden.
Susinis Bronze besticht durch die Perfektion der Ausführung,
die sich sowohl in den sorgfältig geglätteten Oberflächen als
auch in der prägnanten Detailgestaltung zeigt. V.K
Ausstellungen und Literatur: Seite 159