Kat. Nr. 47
PIER JACOPO BONACOLSI
gen. ANTICO (um 1460-1528)
«BÜSTE EINES JÜNGLINGS» (Mantua, um 1520)
Bronze, olivbraune Patina, darüber schwarzer Lack; Umhang mit brauner
Patina, darüber dunkler Lack und Ölvergoldung; Hemd mit brauner Patina
ınd schwarzem Lack; Stirnband mit Ölvergoldung; Augen versilbert
Höhe 56,5 cm (ohne Sockel).
[nv. Nr. S 535
Erworben: vor 1807
Ein in Büstenform dargestellter Jüngling mit lockigem Haar hält
seinen Kopf zur linken Seite geneigt, wobei der Mund leicht
zeöffnet ist. Die Schultern bedeckt ein über der Brust zusam-
mengeknoteter Umhang, dessen Saum Fransen zieren. Am
Brustausschnitt tritt ein gefälteltes Hemd hervor. Die Haare
werden von einem Band zusammengehalten.
Die prachtvolle Büste wurde zuerst von Hermann in dessen
grundlegendem Aufsatz über Pier Jacopo Bonacolsi, genannt
Antico, publiziert und als Werk dieses Künstlers erkannt. Her-
mann feierte sie als dessen schönste Schöpfung: «Ein Kopf
von idealer Schönheit und höchster Vornehmheit, aber auch
bewundernswert durch seine unübertreffliche technische
Vollendung !».
Kein anderer neuzeitlicher Bildhauer war der Antike mehr ver-
pflichtet als Pier Jacopo Bonacolsi, dessen Beiname unmißver-
ständlich auf diesen Bezug verweist. Die früheste bekannte
Arbeit des Künstlers, der auch als Goldschmied tätig war, ist
zine Medaille, die er 1479 anläßlich der Vermählung von Gian-
francesco Gonzaga mit Antonia del Balzo geschaffen hatte. Sie
trägt bereits den abgekürzten Beinamen des Künstlers als Si-
gnatur. Anticos geradezu vorsätzliche Klassizität erhellt nicht
zuletzt auch seine Tätigkeit als Ergänzer antiker Skulpturen; in
Rom restaurierte er einen der Dioskuren vom «Monte Cavallo»
(Quirinal). Die Spezialität des Künstlers waren seine Arbeiten
in Bronze, dem bereits in der Antike am höchsten geschätzten
bildnerischen Werkstoff. Anticos Bronzen zählen, besonders
aufgrund ihrer exquisiten Oberflächengestaltung, zu den Höhe-
punkten der italienischen Renaissanceskulptur.
Fast ausschließlich war Antico als Hofkünstler für die Gonzaga
tätig. Seine Hauptgönnerin war die Markgräfin Isabella d’Este,
die als die bedeutendste Kunstsammlerin und Mäzenin der
Renaissance legendäre Berühmtheit erlangte. In vergleichbarer
Weise wie die Gemälde ihres Hofmalers Andrea Mantegna spie-
geln Anticos Skulpturen den humanistischen Geist und Ge-
schmack am Mantuaner Hof —- «dem neuen Rom» — wieder.
Während sich Antico bei seinen Bronzestatuetten meist relativ
eng an antike Vorbilder anlehnte, erscheinen einige der von ihm
geschaffenen Bronzebüsten gleichsam wie Synthesen seiner
Erfahrungen im Umgang mit antiker Kunst. Dies gilt besonders
für die liechtensteinische Büste, die in ihrer harmonischen Ver-
schmelzung von elegant-dekorativer Form und stimmungsvoller
Poesie über antike Vorbilder hinausgeht. Während man in der
Antike vorrangig Marmor für plastische Bildnisse verwendete,
wählte Antico die kühle Bronze, die jedoch eine differenziertere
und präzisere Detailgestaltung ermöglicht. Durch die partielle
Verwendung von Gold und Silber wurde Anticos Werk zu einer
Preziose, deren Wirkung ursprünglich noch eindringlicher
gewesen sein dürfte, da die Vergoldung nur noch teilweise
erhalten ist.
Eine genaue Identifizierung der liechtensteinischen Jünglings-
üste erweist sich als schwierig. Aufgrund der humanistischen
Bildung von Anticos Auftraggebern sollte vorausgesetzt wer-
den, daß es sich bei der Büste — trotz der idealisierten Züge —
aicht um ein beliebiges Idealbildnis handelt, sondern eine
Jestimmte mythologische oder historische Gestalt dargestellt
werden sollte. Draper, der die Büste kürzlich diskutierte, wid-
nete sich ausführlich dieser Frage. Er verwies auf literarische
antike Quellen, die den noch jugendlichen Herkules am Schei-
dewege schildern, der über seinen späteren Lebenspfad — den
‚eichten Weg der Lust oder den entsagungsvollen der Tugend
ıachsinnt.
Aufgrund seines moralisierenden Charakters war dieses Thema
‚N der Renaissance und im Barock sehr beliebt, was selbst noch
?ompeo Batonis Gemälde in der liechtensteinischen Sammlung
belegt (siehe Kat. Nr. 42). Draper bezog sich auf eine Eintragung
.m Gonzaga-Inventar von 1627, die eine als Herkules bezeich-
nete Bronzebüste mit Löwenfell aufführt. Daß sich diese Er-
wähnung tatsächlich auf die Jünglingsbüste beziehen kann, ist
jedoch sehr zweifelhaft, da sie kein Löwenfell aufweist. Somit
"st auch die Identifikation als junger Herkules unsicher, denn ein
antiquarisch so kenntnisreicher Künstler wie Antico hätte dieses
notwendige Attribut mit Sicherheit nicht ausgelassen. Kaum
weniger problematisch erscheint die Deutung des Dargestellten
als Scipio Africanus, den römischen Feldherrn und Sieger über
Hannibal, vor allem deshalb, weil für Antico bereits 1499 eine
solche Bronzebüste dokumentarisch nachweisbar ist. Bei der
Jechtensteinischen Bronze, die aufgrund ihrer technischen
Vollendung, besonders den virtuos gestalteten Korkenzie-
herlocken, als Spätwerk des Künstlers einzuordnen ist, könnte
2s sich dann höchstens um ein überarbeitetes Modell handeln.
7alls die Büste für Isabella d’Este geschaffen sein sollte, was
sehr wahrscheinlich ist, dürfte sie in deren «Grotta» im Palazzo
Ducale in Mantua zusammen mit antiken Kunstwerken und
Kostbarkeiten aus neuerer Zeit Aufstellung gefunden haben.
V.K
Ausstellungen und Literatur: Seite 157