Welche Ansichten nun äussert Peter Kaiser über die geschichtliche Ent-
wicklung der Menschheit? Die Geschichte erscheint in den «Andeutun-
gen» als die Triebfeder der Gegenwart, als «göttlicher Funken» im Men-
schen. Sie führe, wie auch die Sprache, zur Selbsterkenntnis. Der Anfang
des Menschen, «d.i. der Geschichte», seiin Gott, dem inneren Mittelpunkt.
Nichts in der Geschichte der Menschheit sei Zufall oder «blindes Schick-
sal», sondern alles sei «Gesetz und Ordnung der Weisheit und Liebe». Die
Geschichte enthalte die reale Wirklichkeit, die wiederum im Bewusstsein
der Menschen enthalten sei. Wie sich in der Entwicklung des Geistesle-
bens vier Stufen zeigten, so zerfalle auch die Geschichte der Menschheit in
vier Entwicklungsstufen, nämlich in die real-ideale Stufe (Paradies), die
reale Einheit (Altertum), die ideale Einheit (Mittelalter) und die ideal-reale
Stufe (Neuzeit), deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen sei. Kaiser
beschreibt dann den Gang der vier Weltalter, ausgehend von einem Urva-
ter und einem Urvolk in Westasien. Das alte Reich des Mittelalters bezeich-
nete er als «republikanische Wahlmonarchie», in jeder Hinsicht und in
allen Bereichen ideal verfasst — hier schimmern wieder Kaisers politische
Vorstellungen durch. Gleichzeitig jedoch entstand, so die «Andeutungen»
weiter, die «Hierarchie», indem Christus als der innere Mittelpunkt in den
Hintergrund, und Rom als der äussere Mittelpunkt in den Vordergrund
trat. Als drittes Element entstand die Universität, von Kaiser als die «ideale
Gesammtheit des Lebens» betrachtet. Sie führe zu «Selbstbewusstsein, zur
Vernunft und Freiheit oder zur Idee». Die Hierarchie triumphierte
schliesslich über die weltliche Macht, schuf sich aber im Geist der Univer-
sität ihren Feind. Damit habe das vierte Weltalter in einer «traurigen Ein-
förmigkeit» und «Verknöcherung» begonnen, bar jeder freiheitlichen und
republikanischen Idee. Herrschsucht, Ländergier und schliesslich das
Der Geschichts-
denker
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