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festigen oder sie nach Möglichkeit zu
erweitern. Somit verlangte die politische
und wirtschaftliche Enge Liechtensteins
von diesem Kleinstaat geradezu ein
vorsichtiges, auf die Nachbarn hin bezo-
genes politisches Handeln.
Die zwischenstaatlichen Beziehungen in
Europa und auch weltweit sind jedoch in
den letzten Jahren bedeutend komple-
xer geworden, und eine Aussenpolitik,
die sich nur gerade im Erhalt der guten
Beziehungen zu den Nachbarn erschöp-
fen würde, wäre gerade für einen Klein-
staat wie Liechtenstein politisch unklug.
Die Ausrichtung Liechtensteins muss
weiter gefasst und international sein.
Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass in
einer Zeit, da die wirtschaftlichen Ver-
flechtungen, insbesondere der euro-
páischen Staaten, immer ausgeprágter
werden, ein einzelner Staat auf seine
«absolute» Unabhängigkeit verzichten
muss, wenn eine solche «absolute»
Souveränität überhaupt einmal bestan-
den hat.
Die geringe Grösse Liechtensteins-ver-
langt geradezu nach Zusammenarbeit
mit Drittstaaten, wobei darunter nicht
allein ein grösserer Nachbar zu verste-
hen ist. Die Bestrebungen Liechten-
steins (neben seinen bestehenden
Beziehungen zur Schweiz) nach multila-
teraler Zusammenarbeit sind darauf
ausgerichtet, eine existenzbedrohende
Isolation zu verhindern.
Wege und Ziele der liechten-
steinischen Aussenpolitik
Das Fehlen der politischen bzw. militári-
schen Machtmittel, um liechtensteini-
sche Interessen durchzusetzen, bedingt
ein anderes Vorgehen als bei grósseren
europáischen Staaten, um die ange-
strebten aussenpolitischen Ziele zu
erreichen.
Versuchen wir zunachst, diese aussen-
politischen Ziele zu formulieren, um von
ihnen aus dann gangbare Wege zu
suchen, wie diese Ziele zu erreichen
sind. Sie lassen sich in fünf Teilbereiche
fassen:
— Erhaltung der liechtensteinischen
Souveränität
— Pflege des freundnachbarlichen
Verhältnisses zur Schweiz und zu
Osterreich
— friedliche Beziehungen zu allen
Staaten
— Bereitschaft zur Zusammenarbeit im
Rahmen von internationalen
Organisationen und Beteiligung an
internationalen Verträgen
— Verpflichtung zu internationaler
Solidarität
Die Erhaltung der liechtensteinischen
Souveränität steht und fällt mit dem
Erreichen der übrigen vier Ziele. Jedes
dieser Teilziele dient in erster Linie dazu,
das Hauptziel - die Souveränität
Liechtensteins — zu bewahren. Dazu ge-
hórt, dass Liechtenstein seine Sou-