Volltext: Die liechtensteinische Staatsordnung

Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 
b) Legislativbereich 
Die Verfassung von 1921 hat die Stellung von Volk und Landtag gegen- 
über dem Landesfürsten massgeblich verändert. Volk und Landtag sind 
zu Mitgesetzgebern geworden. Unter der Konstitutionellen Verfassung 
von 1862 galt der Landesfürst noch als alleiniger Gesetzgeber, auch 
wenn dies faktisch nicht mehr zutraf, da der Landtag eine Mitsprache in 
Form einer Zustimmung hatte, die jedoch für die Gesetzgebung nicht 
ausreichte.? Der Wortlaut des Art. 65 Abs. 1 LV,” der sich an $ 24 Abs. 1 
KV 1862 anlehnt, wird dieser neu gewonnenen Position des Landtages 
nicht gerecht, weil er die Verfassungslage von 1862 kopiert, wonach der 
Landtag einem Gesetz, das vom Fürsten erlassen wird, zustimmt. Das 
heisst, dass er lediglich befugt ist, die Legislativgewalt des Fürsten zu 
beschränken. In diesem Sinne ist aber die «Mitwirkung des Landtages» 
nicht mehr zu verstehen, der ein Gesetz beschliesst, dem der Fürst mit 
seiner Sanktion zustimmt, wie dies in der Einleitungsformel eines Geset- 
zes zum Ausdruck kommt, die den Gesetzgebungsvorgang nachzeichnet 
und wie folgt lautet: «Dem nachstehenden vom Landtag gefassten 
Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung.» Aus dieser Gegenüberstel- 
lung von alter und neuer Rechtslage folgt, dass Art. 65 Abs. 1 LV, der 
nach wie vor noch von der «Zustimmung des Landtages» spricht, den 
gegebenen Verfassungswandel nicht vollzieht bzw. ihn nicht in der gebo- 
tenen Weise textlich umsetzt und wiedergibt. Dies trifft im Übrigen auch 
auf den Ingress der Verfassung zu, wonach der Landtag der vom Lan- 
desfürsten geänderten Verfassung zugestimmt hat,* obwohl sie im 
  
35 Siehe Art. 62 Bst. ai. V. m. Art. 65 Abs. 1, 66 und 66bis LV. 
36 Vgl. vorne S. 104 ff; Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteini- 
schen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 96 und Dieter Grimm, Deutsche 
Verfassungsgeschichte, S. 116. 
37 Dort heisst es u. a.: «Zur Gültigkeit eines jeden Gesetzes ist ausser der Zustimmung 
des Landtages die Sanktion des Landesfürsten [...] erforderlich.» 
38 Diese Bestimmung lautet: «Ohne Mitwirkung und Zustimmung des Landtages darf 
kein Gesetz gegeben, aufgehoben, abgeändert oder authentisch erklärt werden.» 
39 Diese Einleitungsformel hat sich nach Inkrafttreten der Verfassung von 1921 einge- 
bürgert, auch wenn gelegentlich noch Formeln verwendet werden wie: «Mit Zu- 
stimmung des Landtages Meines Fürstentumes verordne Ich wie folgt: [...]». So 
LGBl. 1922 Nr. 25. Vgl. auch Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 128 Fn. 22. 
40 Vgl. dagegen das Schreiben des Fürsten Johann II. an seinen Neffen Prinz Karl (im 
Anhang des Originals der Verfassungsurkunde), aus dem klar hervorgeht, dass der 
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