Verhältnis zu anderen Staatsorganen
um eine Norm zu erhalten und die Autorität des Gesetzgebers zu scho-
nen.416 Wenn die anerkannten Auslegungsmethoden nicht zu eindeuti-
gen Ergebnissen führen, ist es gängige Praxis, die verfassungskonforme
Auslegung heranzuziehen.“!7 Gegenstand ist das Gesetz oder eine Geset-
zesbestimmung. Der Staatsgerichtshof sucht eine Auslegung des einfa-
chen Rechts, die mit der Verfassung vereinbar ist. Anlass zu einem sol-
chen Vorgehen besteht immer dann, wenn ein Gesetz oder eine Geset-
zesbestimmung mehrere Auslegungen zulässt und nicht alle mit der
Verfassung übereinstimmen bzw. auch eine Interpretation möglich ist,
bei der sich kein Widerspruch zur Verfassung ergibt.“ Es wird diejenige
Methode bevorzugt, die zu einem verfassungsmässigen Ergebnis führt.
In diesem Fall übernimmt die verfassungskonforme Auslegung die
Funktion einer «Vorzugsregel».*!1? Voraussetzung ist, dass sich diese
gesetzeserhaltende Normdeutung innerhalb des Wortlauts und des Sinns
der geprüften Gesetzesbestimmung bewegt. Sie bilden die Grenze der
verfassungskonformen Auslegung. Die vom Staatsgerichtshof
bestimmte Auslegung muss sich mit dem vom Gesetzgeber intendierten
Norminhalt decken, um nicht die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers
zu beeinträchtigen.*! Dies ist der Fall, wenn er einen ganz anderen Sinn
bekommt, der vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen ist.“
Die verfassungskonforme Auslegung begegnet grosser Zustim-
mung und hat auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
416 So Helmut Simon, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 1669 Rz. 53. Michael Kloepfer,
Verfassungsrecht I, S. 658 Rz. 124 spricht von «Normerhalt durch Norminterpreta-
tion». Gunnar Folke Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen, S. 6 weist darauf
hin, dass die verfassungskonforme Auslegung aus dem Bestreben entstanden ist,
«den demokratisch legitimierten Gesetzgeber vor zu weitgehenden, unnötigen Kor-
rekturen durch den Richter zu schützen».
417 Zur Praxis des Staatsgerichtshofes vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 307 und
Tobias Michael Wille, Verfassungs- und Grundrechtsauslegung, S. 170 ff.; zur ver-
fassungskonformen Auslegung im Zusammenhang mit der Lückenfüllung siehe
Herbert Wille, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, S. 448 f.
418 Vgl. Herbert Wille, Normenkontrolle, S. 308 f. mit weiteren Literaturhinweisen.
419 Vgl. Ulrike Lembke, Einheit aus Erkenntnis, S. 32 f.
420 Vgl. Tobias Michael Wille, Verfassungs- und Grundrechtsauslegung, S. 171 f. mit
Hinweisen auf die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs.
421 Vgl. Werner Heun, Funktionell-rechtliche Schranken, S. 28 f.; Christian Starck, Das
Bundesverfassungsgericht im politischen Prozess, S. 27 f.
422 Vgl. Philipp Austermann, Die rechtlichen Grenzen des Bundesverfassungsgerichts,
S. 271.
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