1. Abschnitt
Entstehung und verfassungsrechtlicher Status
$43 ERRICHTUNG DES STAATSGERICHTSHOFES
I. Vorstufen
Die Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie 1921 Eingang in die Verfassung
gefunden hat und 1925 im Staatsgerichtshof-Gesetz näher ausgestaltet
worden ist, hat ihre Vorläufer in der Konstitutionellen Verfassung von
1862, die zu ihrem Schutze einerseits eine Art von «Ministeranklage»
einführt und andererseits Verfassungsstreitigkeiten zwischen der fürstli-
chen Regierung und dem Landtag dem Bundesschiedsgericht zur
gerichtlichen Entscheidung überträgt.! Die «Anklage wegen Verfas-
sungs- und Gesetzesverletzungen der verantwortlichen Staatsdiener
($ 40 Bst. d KV 1862) bzw. die «Beschwerden gegen Staatsdiener wegen
Verletzung der Verfassung» ($ 42 KV 1862) stellen Anträge des Landta-
ges an den Landesfürsten dar und kommen einer blossen «Anzeige»
gleich. Sie haben noch nichts mit einem gerichtlichen Verfahren zu tun.
Der Landtag konnte das «Ergebnis der Untersuchung» lediglich zur
Kenntnis nehmen.? Das Bundesschiedsgericht ist zwar ein echtes
Gericht. Seine Entscheidung hat «die Kraft und Wirkung eines austrä-
galgerichtlichen Erkenntnisses» und konnte notfalls vollstreckt werden.?
Der Zugang zum Bundesschiedsgericht war aber beschränkt, da es nur
von der Landesregierung angerufen werden konnte und dazu auch noch
1 Vgl. $ 122 KV 1862 und Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum
Liechtenstein, S. 14 ff.
2 Siehe zur Ministeranklage vorne S. 528 f. Vgl. auch Herbert Wille, Normenkon-
trolle, S. 34 f.
3 Vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 624; Hartmut
Maurer, Die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 52.
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