Rechtsnatur des Staates
Monarch sich als Teilhaber der Staatsmacht gegenüberstanden, war der
Dualismus unumgänglich geworden. In der Folge behalf man sich mit
der Formel, die zwischen der Substanz der staatlichen Gewalt, die dem
Fürsten als dem Oberhaupt des Staates zukommen sollte, und der Aus-
übung dieser souveränen und ungeteilten Gewalt durch die verfassungs-
mässig zuständigen Organe unterschied, um die zu schaffende konstitu-
tionelle Ordnung «mit den Forderungen der Fürstensouveränität in Ein-
klang zu bringen».
3. Konstitutionelle Verfassung von 1862
Es war nicht mehr zu übersehen, dass die deutschen Landesfürsten
unbeschadet ihrer Souveränitätsstellung in bestimmten Fällen in nicht
mehr einseitig aufkündbarer Weise an die Mitwirkung von Ständever-
sammlungen oder Parlamenten gebunden waren. So konnte der Landes-
fürst die Konstitutionelle Verfassung von 1862 weder einseitig abändern
noch selbst wieder aufheben.“ Souveränität besagte demnach nur noch
«höchste» Gewalt, d. h. die anderen Gewalten legitimierende und grund-
sätzlich zuständige, aber nicht mehr in jedem Fall zur Alleinentschei-
dung berechtigende Machtvollkommenheit. Diese Bindung des Souve-
räns an die Mitentscheidung anderer Faktoren, z. B. auch an die gegen-
zeichnenden Minister — für Liechtenstein: der Landesverweser —, lässt
sich geradezu als das wesentliche Merkmal des Konstitutionalismus und
der in ihm herrschenden Souveränitätsvorstellung bezeichnen.®! Diese
Feststellung trifft auch auf die Konstitutionelle Verfassung von 1862 zu,
die das Verhältnis zwischen Landesfürst und Land erstmals staatsrecht-
lich ausgestaltet. Sie bekennt sich zwar in $ 2 nach wie vor zum monar-
chischen Prinzip, wonach der Landesfürst als Oberhaupt des Staates in
sich alle Rechte der Staatsgewalt vereinigt. Dem Fürsten tritt aber der
Landtag als «gesetzmässiges Organ der Gesamtheit der Landesangehöri-
gen», also als Repräsentant des Volkes,® gegenüber, der an der Aus-
59 Hans Gangl, Der Deutsche Weg zum Verfassungsstaat, S. 35.
60 So$121 KV 1862; siehe schon vorne S. 83 und 132.
61 Hans Boldt, Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie, S. 75 ff. (86).
62 Zur Einschränkung der Repräsentation (drei fürstliche Abgeordnete) siehe vorne S. 93.
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