Verrechtlichung der (Erb-)Monarchie
lich schlichtend tätig zu sein.?® Es geht aber nach Art. 112 LV 1921 um
mehr als um die blosse schiedsrichterliche Beilegung eines konkreten
Streits. Dieser bildet vielmehr nur den Anlass für eine Klärung einer abs-
trakten verfassungsrechtlichen Zweifelsfrage. Gegenstand und Ziel des
Verfahrens ist die Auslegung des streitig gewordenen objektiven Verfas-
sungsrechts. Die vom Staatsgerichtshof gefundene Auslegung soll allge-
mein verbindlich sein, sodass ihm «verfassungsfortgestaltende Macht»
zukommt.?” Denn die Entscheidung des Staatsgerichtshofs soll die
Streitteile nicht nur im Anlassfall, sondern auch in der weiteren Verfas-
sungspraxis binden. Damit überträgt die Verfassung dem Staatsgerichts-
hof eine an sich legislative Aufgabe mit der Absicht, den Verfassungs-
streit zu entpolitisieren, indem er ihn verrechtlicht.?®® Otto Ludwig Mar-
xer?9 Zussert sich denn auch kritisch. Er ist der Meinung, dass
Verfassungskonflikte «politisch» zu lösen sind und nicht rechtlich bzw.
gerichtlich. Er bezeichnet eine solche Regelung als eine «ganz eigentüm-
liche Competenz». Er plädiert für einen politischen Entscheid, den das
Volk als Schiedsrichter zu treffen habe, denn hier sei dem Staatsgerichts-
hof eine Aufgabe zugewiesen worden, die eigentlich über den «natürli-
chen Kreis eines Gerichtes» bzw. über die «Aufgaben der Rechtspre-
chung» hinausgehe, sodass er in das «der Gesetzgebung ausdrücklich
vorbehaltene Gebiet» eingreife. Der Staatsgerichtshof habe «rechtsbil-
dende Kraft», da er «in einzelnen Fällen durch seine «Entscheidungem
zum mindesten formell, allgemein verbindliche Rechtssätze aufstellen»
könne.
Diese Argumentation übersieht, dass der Staatsgerichtshof auch als
Normenkontrolleur rechtsdogmatisch in einem «systemimmanenten
Spannungsverhältnis» zum Gesetzgeber steht, sodass er ihm gegen-
296 Vgl. Hans Boldt, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 254.
297 Formulierung in Anlehnung an Klaus Rennert, Historisches zur Bindungswirkung
und Gesetzeskraft, S. 530.
298 Klaus Rennert, Historisches zur Bindungswirkung und Gesetzeskraft, S. 539 f,;
Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 30 f. mit
weiteren Hinweisen.
299 Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 84 ff.
300 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 32.
301 Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 51 unter
Bezugnahme auf Martin Hiesel, Verfassungsgesetzgeber und Verfassungsgerichts-
hof, S. 3.
228