Volltext: Wer Bescheid weiss, ist bescheiden

Die Aktualität der benediktinischen Lebensform 
Einführung treffend bemerkt. Man könnte die Benediktusregel als Ant- 
wort auf diese eine Frage lesen: Wie können Menschen, die ernsthaft 
Gott suchen wollen, zusammen dieser Suche nachgehen und sich dabei 
in Gemeinschaft gegenseitig tolerieren und tragen, ja sich entfalten und 
weiter entwickeln? Diese Frage ist auch heute aktuell. Wie geht es 
zusammen, Gott zu suchen und in der Postmoderne allein oder in 
Gemeinschaft zu leben? Wie lebt man, wenn man so glaubt —- wie glaubt 
man, wenn man so lebt? Benedikt hält auch hier eine Mittellage. Er folgt 
nicht dem Ideal des einsamen Eremiten, löst den Einzelnen aber auch 
nicht restlos in der Gemeinschaft auf. Die je persönliche Berufung wird 
gelebt in einer Gemeinschaft von Gottsuchenden. Benedikt hält die Mit- 
tellage zwischen Individualität und Sozialität. 
Philosophie und Lebensform 
In der gegenwärtigen Philosophie — um diesen Seitenblick hier einzuwer- 
fen — ist vielleicht nicht die Gottsuche das beherrschende Thema. Die 
Philosophie versteht sich heute, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, 
weitgehend atheistisch oder agnostisch. Wohl aber lässt sich eine Ten- 
denz in der Philosophie der Gegenwart beobachten, wieder neu nach 
dem Zusammenhang von Denken und Leben, von Vernunft und Lebens- 
form zu fragen. Mit dem Anwachsen der Wahlmöglichkeiten in einer 
postmodernen Gesellschaft ist der Gebrauch der persönlichen Freiheit 
nicht unbedingt leichter geworden. Die Menschen fragen in einer un- 
übersichtlich gewordenen Welt durchaus wieder nach Lebenshilfe und 
Lebensorientierung, nach Struktur und Zielen — letztlich nach Sinn. 
Es war der Philosoph Ludwig Wittgenstein, der in seinen «Philo- 
sophischen Untersuchungen» (posthum publiziert 1953) festgestellt hat, 
dass sich Differenzen zwischen Menschen gar nicht so sehr durch ihre 
rationalen Überzeugungen ergeben, sondern eher durch Unterschiede in 
ihrer Lebensform. Der blosse freie Vernunftgebrauch, wie ihn die Philo- 
sophie der Aufklärung postulierte, reicht offensichtlich nicht ganz aus. 
Es ist auch die Frage, ob man zu vernünftigen Einsichten nicht erst 
durch eine gewisse Lebenspraxis gelangt. Gewisse rationale Überzeu- 
gungen hängen eng zusammen mit bestimmten Lebensformen — und 
umgekehrt. Jedes «Sprachspiel» — um mit Wittgenstein zu reden — ist ein- 
gebettet in eine Lebensform: «Und eine Sprache vorstellen heisst, sich 
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