Verfahren und Regelungen bei Volksabstimmungen
Nach dem Urteil des StGH (2002/73) wäre dies allerdings nicht mehr
möglich. Es müsste zuerst das gesamte Verfahren durchgeführt werden,
bevor eine Abstimmungsbeschwerde von Stimmberechtigten zu behan-
deln wäre. Für Nichtstimmberechtigte müsste ein Gesetz sogar zuerst in
Kraft treten, bevor sie den StGH gegen das Gesetz anrufen kónnten.
Man mag ein wenden, dass dies für Landtagsbeschlüsse auch gilt und dass
man auch gegen Landtagsbeschlüsse nicht wahrend des Verfahrens im
Landtag Beschwerde erheben kann. Es ist aber immerhin ein Unter-
schied, ob man dem Landtag als Gesetzgeber gegenübersteht oder dem
Landtag in seiner Funktion als Verwaltungsbehórde, wenn er Prüf- und
Durchlaufstelle im Verfahren eines Initiativbegehrens ist.
Für den zweiten Verfahrensabschnitt gemäss StGH — Unterschrif-
tensammlung etc. — gilt Ähnliches. Es überzeugt nicht, dass bei der
Feststellung der Korrektheit der Unterschriften und der Unterschriften-
sammlung nur diejenigen beschwerdeberechtigt sein sollen, die eine Un-
terschrift geleistet haben, während Stimmberechtigte, die Unregelmäs-
sigkeiten bei der Unterschriftensammlung reklamieren, keine Beschwer-
demöglichkeit gegen den Entscheid der Regierung auf Zustandekommen
426 Höfling 2003, S. 143-146. Er unterscheidet klar zwischen legislativen und nicht
legislativen Akten des Landtages. Nicht legislative Beschlüsse können als Verwal-
tungsakte aufgefasst werden. Diesbezüglich wegweisend war der Entscheid des
StGH vom 23.3.1993, in: LES 1993, S. 81, bei welchem eine Beschwerde gegen einen
Enteignungsbeschluss des Landtages beim StGH zugelassen wurde. Siehe auch Kley
1998, S. 315f.; Wille 1999, S. 231—237; Schurti 1989, S. 381. Vor allem Wille setzt sich
kritisch mit den bisherigen StGH-Entscheidungen zu dieser Materie auseinander
und stellt Widersprüche fest. Klarheit besteht für ihn darin, dass Beschlüsse des
Landtages nicht der Normenkontrolle unterliegen. Da der StGH aber Verfassungs-
beschwerden gegen Landtagsbeschlüsse zugelassen hat, irritiert ihn, dass er gleich-
zeitig im Urteil von 1992 feststellte, dass der Landtag nicht als Verwaltungsbehórde
üiüg geworden ist. Sowohl Hófling wie auch Wille erwarteten Klärung in der Neu-
fassung des StGH-Gesetzes. Art. 15 Abs. 1 StGHG (2003) spricht heute tatsächlich
nicht mehr von «Verwaltungsakten», sondern von einer enderledigenden letztin-
stanzlichen «Entscheidung oder Verfügung der óffentlichen Gewalt», gegen die
Individualbeschwerde möglich ist. Unter den Begriff der «öffentlichen Gewalt» fällt
auch der Landtag, womit nichtlegislative Akte des Landtages rügbar sind. Ungeklärt
bleibt trotzdem, ob jeder Stimmbürger oder allenfalls auch sonst ein potenziell von
einer Abstimmungsvorlage Betroffener im Falle einer Zulassung einer Initiativvor-
lage in seinen verfassungsmässigen oder staatsvertraglich garantierten Rechten ver-
letzt werden kann und damit ein Beschwerderecht erlangt oder ob es hierfür eine
spezifische Parteistellung braucht.
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