Verfahren und Regelungen bei Volksabstimmungen
men. Dieser wurde an einer Sondersitzung am 28. September nochmals mit 23 Stim-
men bestätigt, sodass die Drei-Viertel-Mehrheit an zwei aufeinanderfolgenden Sit-
zungen erreicht war, die für eine Verfassungsänderung erforderlich ist. Der Landtag
war sich allerdings nicht sicher, ob dies im Falle eines Gegenvorschlags notwendig
war. Die Vorlage des Landtags betraf Art. 27bis und Art. 27ter im IV. Hauptstück
der Verfassung («Von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Landesangehöri-
gen») und bekräftigte damit den Grundrechtsschutz, der bereits in anderen Teilen
der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert war.
Bei der Volksabstimmung vom 25./27. November 2005 wurde die Initiative «Für
das Leben» in allen Gemeinden deutlich abgelehnt. Der Gegenvorschlag des Land-
tages wurde dagegen in allen Gemeinden klar angenommen. Auch in diesem Fall
mussten die Präferenzstimmen des doppelten Ja nicht eingerechnet werden. Insge-
samt hatten 714 Stimmberechtigte doppelt Ja gestimmt. Diese teilten sich auf 227
Stimmen zugunsten der Initiative, 253 zugunsten des Gegenvorschlags und 234 leere
oder ungültige Stimmen auf.???
Man kann anzweifeln, ob es tatsáchlich korrekt war, die beiden Vorlagen
zum Schutz des Lebens nach dem Verfahren des doppelten Ja zur
Abstimmung zu bringen. Der Landtag verabschiedete zwar seinen Ent-
wurf als Gegenentwurf zur Initiativvorlage; ob es sich aber tatsächlich
um «denselben Gegenstand» handelte, ist nicht eindeutig. Denn zum
einen bezogen sich die beiden Vorlagen auf verschiedene Artikel, ja sogar
verschiedene Hauptstücke der Verfassung. Zum anderen war es nicht
eindeutig so, dass die eine Vorlage die andere Vorlage ausschloss. Am
Abstimmungsergebnis hätte dies allerdings nichts geändert, da die Initia-
tive «Für das Leben» lediglich 18,75 Prozent Zustimmung erreichte.?®
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Siehe auch Landtag 2012, S. 159; www.abstimmung.li.
Der Gegenentwurf des Landtages wurde an zwei Sitzungen mit den erforderlichen
qualifizierten Mehrheiten, die für Verfassungsänderungen notwendig sind, ordent-
lich verabschiedet, die zweite davon als Sondersitzung anberaumt. Das Motiv, der
Initiative einen Gegenentwurf gegenüberzustellen, also eine Alternative — keine
Ergänzung —- anzubieten, war klar. Die Initiative betraf Art. 14 LV im Hauptstück
über die Staatsaufgaben, wahrend der Gegenvorschlag des Landtages Art. 27bis LV
im Hauptstück über die allgemeinen Rechte und Pflichten der Landesangehórigen
betraf. Zur Frage, ob die beiden Vorlagen gleichzeiug in die Verfassung aufgenom-
men werden kónnten, áusserte sich Staatsrechtler Andreas Kley wie folgt: «Ich den-
ke, dass sich beide Vorlagen harmonisch und konkordant auslegen lassen. Es erge-
ben sich nur dann Widersprüche, wenn man die Initiative im subjeküven Sinne
der Initianten auslegen würde. Aber die Auslegung des Textes durch die Initianten
ist nur eine Auslegung unter vielen» (Liechtensteiner Vaterland vom 10. September
2005).