Die direktdemokratischen Instrumente in der Gegenwart
Der Einbezug des Volkes bei der Richterbestellung genügt den definito-
rischen Kriterien der direkten Demokratie nicht vollständig, da es sich
nicht um ein jederzeit anwendbares Volksrecht handelt.># Das Volk tritt
erst als Schiedsrichter auf, wenn das Verfahren aufgrund eines Behôr-
dendissenses nicht abgeschlossen werden kann, und ist insofern behôr-
denabhängig. Ausserdem ist es als Personalplebiszit zu interpretieren
und steht dem Wahlrecht näher als dem Abstimmungsrecht.>#
Im Vorfeld der Volksabstimmung über die Verfassungsrevision 2003
wurde von einigen Gutachtern sehr kritisch über das neue Verfahren ge-
urteilt: zu kompliziert, zu viel Machtfülle aufseiten des Fürsten, Gefahr der
Politisierung der Justiz. Winkler hingegen sah im neuen Verfahren einen
Machtzuwachs des Volkes zulasten des Fürsten und des Landtages.^*
3.10.3 Richterwahl durch das Volk in der Anwendung
Bis dato ist es noch zu keiner Volksabstimmung nach dem neuen Rich-
terbestellverfahren gekommen. Allerdings kam es im Herbst 2015 das
erste Mal vor, dass der Landtag einem Vorschlag des Gremiums nicht
zustimmte und daher das Gremium einen neuen Vorschlag für eine
Richterernennung machte.
341 Marcnkowski und Marxer 2010, S. 92-95.
342 Funk (2001, S. 22) spricht von einem «Personalreferendum», Breitenmoser (2000,
S. 1431.) von einem Plebiszitcharakter des Verfahrens.
343 Gutachten von Rhinow 2000; Funk 2001; Batliner et al. 2002.
344 Winkler 2003, S. 226ff.
345 Das Richterauswahlgremium schlug dem Landtag Wilhelm Ungerank, Richter am
Fürstlichen Obergericht, als Landrichter vor. Klar war, dass der neu gewáhlte Land-
richter gleichzeitig Landgerichtsprásident werden sollte. In der Landtagssitzung
vom 2. September 2015 wurde der Richtervorschlag jedoch abgelehnt, da er nur
6 Sümmen erhielt. Das Richterauswahlgremium hatte vier Wochen Zeit, um einen
neuen Vorschlag zu unterbreiten. Am 30. September stimmte der Landtag dem
neuen Vorschlag zu, Willi Büchel, ebenfalls Richter am Obergericht, als Landrichter
zu wählen. Auf Willi Büchel entfielen 15 Stimmen bei 23 Anwesenden. Über die
Gründe für die Ablehnung von Ungerank wurde spekuliert. Da die Wahl bzw.
Nichtwahl im geschlossenen Landtag erfolgte, blieben die Gründe jedoch verbor-
gen. Quelle: Landtagsprotokolle vom 2. und 30. September 2015; Berichte in den
Landeszeitungen im Nachgang und Vorfeld der Landtagssitzungen einschliesslich
Online-Berichte; Interview mit Wilhelm Ungerank bei Radio Liechtenstein (3. Sep-
tember 2015, Audiofile unter www.radio.li).
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