Die direktdemokratischen Instrumente in der Gegenwart
Gehen wir zurück nach Liechtenstein und blicken auf die Behandlung
eines Gegenvorschlags zur Frage der Gleichberechtigung von Mann und
Frau im Jahr 1985. Die Ausgangslage war die gleiche wie bei der Initiative
«Recht auf Leben» im Jahr 2005. Eine Volksinitiative — in diesem Falle
zur Abänderung der Verfassung — wurde eingebracht, der Landtag disku-
uerte darüber und beschloss deutliche Ablehnung (4 Ja-Stimmen) im
damals 15-kôpfigen Landtag. Landtagsprásident Karlheinz Ritter mach-
te darauf aufmerksam, dass eine Volksabstimmung vermieden werden
kónne, wenn einhellige Zustimmung erfolge. Er begründete dies nicht
näher, aber vermutlich setzte er Einhelligkeit voraus, da es sich um eine
Verfassungsänderung handelte. Es fragt sich nun, ob es tatsächlich einen
Unterschied macht, ob eine Gesetzes- oder eine Verfassungsinitiative (als
Sammel- oder Gemeindebegehren) im Landtag behandelt wird. Falls dies
der Fall sein sollte, müsste bei einer Zustimmung mit drei Vierteln der
Stimmen im Landtag, aber fehlender Einhelligkeit, ein weiterer Beschluss
mit Dreiviertelmehrheit in der darauffolgenden Sitzung erfolgen.
Der Abgeordnete Georg Gstöhl brachte 1985 zur erwähnten
Gleichberechtigungsinitiative einen Gegenvorschlag ein, welcher eben-
falls auf eine Abänderung der Verfassung abzielte. Im Laufe der Land-
tagsdiskussion hatte er ihn wörtlich im Rahmen eines seiner Voten vor-
getragen.?3 Der Landtag führte dann aber weder artikelweise noch ins-
gesamt eine Lesung durch. Nach der Ablehnung der Volksinitiative
durch den Landtag berichtet das Landtagsprotokoll über folgende Fort-
setzung der Beratung, ohne dass der Gegenvorschlag des Abgeordneten
Gstóhl noch einmal eigens verlesen wurde:?*
Präsident Dr. Karlheinz Ritter:
Wer dafür ist, dass der Landtag den vom Abg. Georg Gstöhl vorgetragenen Gegen-
vorschlag einbringt, möge die Hand erheben: (Abstimmung: mehrheitliche Zustim-
mung mit 8 Stimmen.)
323 LTP 1985, S. 913. Der Wortlaut war wie folgt: «Artikel 1. Artikel 31 der Verfassung
vom 5. Oktober 1921 erhält einen neuen Absatz 2 mit folgendem Wortlaut: Das
Gesetz sorgt für die Gleichstellung von Mann und Frau, insbesondere in Familie,
Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für
gleiche Arbeit. Artikel 2. Der bisherige Absatz 2 von Artikel 31 der Verfassung wird
zu Absatz 3. Artikel 3. Dieses Verfassungsgesetz tritt am Tage seiner Kundmachung
in Kraft.»
324 LTP 1985, S. 918f.
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