Die direktdemokratischen Instrumente in der Gegenwart
Eine stark abgeschwächte Form der Einheit der Materie — allerdings nicht
als Gebot — ist in Art. 77 VRG in Liechtenstein formuliert. Demnach
kann der Landtag im Falle eines Referendums gegen einen Landtagsbe-
schluss die eigene Vorlage in einzelne Teile zerlegen und getrennt darüber
abstimmen lassen (Abs. 3). Der Regelfall ist allerdings die Abstimmung
über eine Gesamtvorlage (Abs. 2). Es handelt sich also keineswegs um
eine Pflicht des Landtages, eine Vorlage aufzuteilen, und es ist auch nicht
erwáhnt, dass eine Aufteilung einer Vorlage — falls dies gemacht wird — in
sachlich getrennte Einzelteile erfolgen muss. In der Praxis ist dieser Fall
in Liechtenstein im Übrigen noch nicht vorgekommen.
In Art. 77 Abs. 3 VRG wird ausschliesslich der Landtag als kom-
petent erwáhnt, eine Vorlage in Teile aufzuspalten.
Art. 77 VRG (Zustande gekommenes Referendumsbegehren)
[...]
2) In der Regel findet die Volksabstimmung über einen Gesetzes- oder einen sons-
tigen Beschluss als Ganzes statt.
3) Dem Landtag steht jedoch das Recht zu, die Abstimmung in der Weise zu
beschliessen, dass über einzelne Teile eines Gesetzes oder eines Beschlusses getrennt
abgestimmt werde; im letzteren Falle sollen die entsprechenden Fragen auf dem
Abstimmungszettel abgedruckt werden.
[..]
Der Landtag kann zwar, wenn er will, seine eigenen Vorlagen im Sinne
der Einheit der Materie zur Abstimmung bringen, also in Einzelteile zer-
legen. Es können bei einer Aufteilung einer Vorlage aber auch ganz
andere Gründe als das Ziel der Einheit der Materie eine Rolle spielen. So
konnte er beispielsweise über einen bekanntermassen umstrittenen Punkt
separat abstimmen lassen, um damit die Erfolgsaussichten des Restes der
Vorlage zu erhóhen. Eingereichte Initiativbegehren kann der Landtag
hingegen nicht in verschiedene Vorlagen aufteilen. Die Bestimmungen
von Art. 77 VRG beziehen sich allein auf Referendumsbegehren und
Landtagsbegehren.2! Der Landtag hat die Moglichkeit, bei eigenen Vor-
221 Allerdings könnte der Landtag einer Inidativvorlage zustimmen, wodurch sie zu
einem Landtagsbeschluss mutiert. Falls der Landtag über den Beschluss eine Volks-
abstimmung durchführen lässt, könnte er theoretisch die Vorlage aufteilen. Ob dies
politisch opportun ist oder aber als Angriff auf die politischen Volksrechte angese-
hen wird, ist eine andere Frage.
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