9, Schluss
Die professionelle Fürsorge hatte in Liechtenstein, im Gegensatz zur schweizerischen
Entwicklung, relativ spát eingesetzt. Zwar unternahm man bereits in den 1930er Jahren
Bestrebungen für eine Erneuerung des Armengesetzes oder für ein eigenes Jugendgesetz.
Konkrete Schritte wurden jedoch erst seit den 1940er Jahren umgesetzt. Die 1960er Jahre in
Liechtenstein können als „soziales Jahrzehnt“ bezeichnet werden, da in diesem Zeitraum das
Jugendwohlfahrtsgesetz und das Sozialhilfegesetz ihre Gültigkeit inne hatten bez. erlangten.
Zudem nahmen die Fürsorgekommissionen ihre Tätigkeit auf und vermittelten Hilfe im Sinne
des Subsidiaritätsprinzips. Die Gründung des Liechtensteinischen Roten Kreuzes bewirkte die
Einführung des Berufes der Fürsorgerin im Land und die Kinderheimgründung in den 1950er
Jahren. Aus dieser Entwicklung fallen die Säuglingsfürsorgerinnen etwas heraus, die bereits
ab 1931 im Land tätig waren.
Die Ursache für die relativ späte Entwicklung liegt zum einen an der ursprünglichen Armut
des Landes, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Politik bestimmte. Die ländliche
Struktur ermöglichte es andererseits, Arme und Waisen innerhalb der Dorfgemeinschaft zu
versorgen. Erst der wirtschaftliche Aufschwung und der Wandel von der Agrarwirtschaft zum
Finanzdienstleistungssektor ermöglichte es, finanziell aufwendige Fürsorgemassnahmen
einzuleiten und die Fürsorge zu professionalisieren. Diese ergänzten die bereits bestehenden
privaten und freiwilligen Fürsorgeinstitutionen. Die innerdörfliche Kontrolle durch den
Gemeinderat und dessen Arbeit in der Fürsorgekommission blieb jedoch bestehen.
Die Neuerungen, die durch die Gesetze eingeleitet wurden, funktionierten auf gutem Niveau
und leisteten sowohl wirtschaftliche als auch persönliche Fürsorge. Die Arbeit der
Fürsorgerinnen war für die Behörde von grosser Wichtigkeit, da gerade ihre Berichte
erheblichen Einfluss auf die Entscheidung von „Oben“ hatten. Im Gegensatz zur Schweiz
fehlte eine schon über Jahre ausgefeilte Verwaltungsstruktur, die sich erst noch in der
Entstehung befand. Zudem ist ein starker Unterschied zwischen dem ländlichen Liechtenstein
und der behördlichen Organisation in Städten wie St. Gallen oder Zürich festzustellen. Im
Gegensatz zur Schweiz fehlte zudem das „gutbürgerliche“ Element, jedoch gab es auch in
Liechtenstein Vorstellungen davon, was moralisch richtig und falsch war, was man eher auf
christlich-wohltätige Hintergründe schliessen kann. Das grösste Problem stelle in den meisten
Fällen der missbräuchliche Alkoholkonsum dar.
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