Volltext: Die Entwicklung der Jugendfürsorge in Liechtenstein von 1930-1970 mit besonderer Berücksichtigung der Sozialhilfe und der behördlichen Versorgung

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den Nachbarn erfahren haben. Die nachbarschaftlichen Aussagen wurden von den 
Beschuldigten als Racheakte oder Verleumdungen abgetan.”” 
Diese behördlichen Massnahmen sind laut HAUSS als „machtvolle Eingriffe in das Leben der 
Betroffenen“? 
einzustufen, die nicht nur die entsprechenden Personen des Falles betrafen, 
sondern auch deren Umfeld miteinbezogen. Der geforderte Eingriff in die Erziehung von 
Kindern seitens der gehobenen Bürgerschicht wurde vor allem in Bezug auf die arme, 
kinderreiche Unterschicht angewendet.”* 
Dies hatte in Liechtenstein, wo die Fürsorge sich 
eher auf christlich-wohltätige Hintergründe stützte, möglicherweise einen geringen Einfluss. 
Die Armut war aber in beiden Ländern Hauptgrund für die Intervention der Behörde, wobei 
„Armut“ weniger mit finanziellen Mitteln als mit Bemängelungen zum schlechten Zustand 
der Wohnung oder der Erziehungsunfähigkeit der Eltern verstanden wurde — also eine 
,Moralisierung der Armut“*”. 
Die Bekámpfung der Armut musste in der àrmeren 
Unterschicht vorgenommen werden, wo bürgerliche Normen in den Bereichen Hygiene, 
Familie und Sittlichkeit nahegelegt werden sollten." 
Ein anderer Punkt, der in den liechtensteinischen Fallen weniger vertreten ist, aber auch 
vorkommt, ist der eugenische Diskurs. So hat laut MATTER das behórdliche Bild der Armut 
von Familien der Unterschicht ,zur bevólkerungspolitischen Angst vor einer wachsenden 
Bedrohung der Gesellschaft durch Verwahrlosung und stetigen Anstieg der Geburten in den 
,vererblichen Milieus' der Armut?" 
geführt. Vor allem Geisteskrankheiten seien Auslóser 
für solche „Ängste“ gewesen und wurden als Grund für die untaugliche Elternschaft 
angeführt. Durch die Arbeit der Fürsorgerinnen und vor allem durch die Kritik derselben 
gegenüber Müttern, wurde ein ideales Frauenbild geschaffen, in dem Alkohol und Unordnung 
keinen Platz hatten. Aber auch das Familienmodell der Fürsorge entsprach hohen 
Ansprüchen, die oft nicht erfüllt werden konnten." Interessant ist, dass die unterschiedlichen 
soziokulturellen Hintergründe zwischen Fürsorgerim und Arbeiterin aus deren Berichten 
ersichtlich werden. So war es der Fürsorgerin aus dem gehobenen Bürgertum nicht bewusst, 
wie schwierig es war, mit dem geringen Einkommen des Mannes und dem zusätzlichem 
  
21 Vol. ebd. S. 135-136. 
??? Vel. ebd. S. 138. 
?? Hauss, Eingriffe ins Leben, S. 41. 
??! Vel. ebd. S. 42. 
7? Ebd. S. 44. 
P*vel. Matter, Der Armut auf den Leib rücken, S. 52. 
??7 Ebd. S. 46. Vgl. auch Ramsauer, Verwahrlost, S. 238 f. 
798 Vol. Ramsauer, Verwahrlost, S. 148. 
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