4. Die Jugendfürsorge in Liechtenstein:
Das Jugendwohlfahrtsgesetz
Nachdem die ersten Versuche zur Schaffung einer eigenen Jugendfürsorgeeinrichtung
erläutert wurden, folgt nun die Darstellung des Jugendwohlfahrtsgesetzes, das 1958
eingeführt wurde. Das vorherige Kapitel zeigte, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts
schwierig war, neue Gesetze im Sozialbereich einzuführen. Nach den Versuchen von 1932
wurden während des 2. Weltkriegs keine Vorstösse in diese Richtung unternommen. In den
1940er Jahren war die Krise noch nicht ganz überwunden, weshalb der Entwurf von 1946
noch nicht verwirklicht wurde. Der Entwurf zu diesem Gesetz wird deshalb auch kurz
dargestellt, da er als Basis für das Jugendwohlfahrtsgesetz Aufschluss über die Beweggründe
und Konzepte hinter den spezifischen Regelungen gibt. Die Jugendschutzkommissionen sind
ein weiteres wichtiges Thema in Bezug auf dieses Gesetz, weshalb sie im Speziellen noch
behandelt werden und ein Vergleich zum Kanton St. Gallen unternommen wird. Zudem wird
auch auf den Begrnff der ,Verwahrlosung" eingegangen, der immer wieder in den
Gesetzestexten auftaucht.
4.1 Der Entwurf für ein Jugendwohlfahrtsgesetz von 1946
Im Jahr 1945 wurden erste Untersuchungen für ein eigenes Kinder- und Jugendgesetz ins
Rollen gebracht. Zur Ausarbeitung dieses Gesetzes wurde der Kantonsrichter Dr. Jur. Josef F.
LENZLINGER aus St. Gallen von der liechtensteinischen Regierung beauftragt. Er war bereits
als ausserordentlicher Staatsanwalt in den Prozessen zum , Sparkassaskandal“ und zur
,Rotter-Affáre^ in Liechtenstein tátig." In seinem Motivenbericht, den er 1946 vorlegte,
¥ Vel. LLA V 8/520, Motivenbericht Dr. Lenzlinger vom 1.2.1946: ,Am 16.11.45 erteilten Sie mir den Auftrag
zur Ausarbeitung eines Entwurfs und Motivenberichtes zu einem Gesetz betreffend Jugendschutz und
Jugendgerichtsbarkeit.*
? Vel. Personeninformationen auf der Internetseite www.e-archiv.li. Der „Sparkassa-Skandal“ ereignete sich
1928, als durch Veruntreuung und Betrug die Gelder der Spar- und Leihkasse (Landesbank) des Fürstentums
Liechtenstein", die nach der Rheinkatastrophe von 1927 als weitere, schwerwiegende wirtschaftliche aber auch
politische Krise wahrgenommen wurde. Vgl. dazu Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 86-95. Zur ,,Rotter-Affüre" vgl.
ebd. S. 342-358, Die zwei Brüder Alfred und Robert Schaie (Künstlername Rotter) aus Berlin gingen mit ihren
Theatern unter den Nationalsozialisten Konkurs. Sie wurden in der Gemeinde Mauren eingebürgert und von
Liechtensteiner Nationalsozialisten entführt, weil diese sie der deutschen Justiz übergeben wollten. Beim
Kidnappingversuch kam Alfred Schaie mit seiner Frau ums Leben.
-19-