auf solche Gebietsveränderungen anzuwenden, die zwar den Bestand der Kantone nicht tangie-
ren, aber das "territoriale Gleichgewicht der Schweiz erheblich verändern". ’® Dies ist z.B. der
Fall bei Abtretung von kantonalen Gebietsteilen an das Ausland.” Zudem kann das Verfahren
nach Abs. 2 auf Veränderung der Aussengrenzen der Schweiz angewendet werden.?? Allerdings
ist diese analoge Anwendung umstritten.5! Fragwürdig erscheint m.E. auch, ob jeder Gemein-
deaustritt das territoriale Gleichgewicht "erheblich" verändern würde: Tritt nämlich eine kleine
an der Grenze der Schweiz gelegene Gemeinde mit wenigen hundert Einwohnern aus," so ist
dies für die gesamte Schweiz wesentlich weniger spürbar, als wenn z.B. die Gemeinde Zürich
austreten würde. Es kommt u.a. auf die fláchen- und bevólkerungsmássige Grósse des Gebiets
an. Der Einzelfall bestimmt, ob oder wie stark sich das territoriale Gleichgewicht verändert.
Die Anwendung von Art. 53 Abs. 2 BV auf jeden noch so "kleinen" Gemeindeaustritt würde
zu einem übergrossen Anwendungsbereich führen, der durch den Wortlaut lángst nicht mehr
gedeckt wäre. Daher ist dieses Verfahren m.E. nicht auf einen Gemeindeaustritt anwendbar.
Das Verfahren nach Abs. 4 ist im Übrigen auch ausgeschlossen, denn eine Grenzbereinigung
liegt bei einer Gemeindesezession sicherlich nicht vor.
Für den Austritt einer Gemeinde passt keines der bestehenden Verfahren nach Art. 53 Abs. 2-
4 BV. Um den Schutz durch den Bund gebührend anzuerkennen, dürfen die bestehenden Ver-
fahren nicht durch einen zu grossen Anwendungsbereich verwássert werden. Deshalb müsste
für die Gemeindesezession eine eigene Bestimmung geschaffen werden.
4. Fazit zur aktuellen Rechtslage
Die Gemeinde ist im Rahmen ihrer Autonomie in vielen Bereichen frei. Sie ist aber nicht dazu
befugt, den Austritt aus dem Kantonsgebiet allein zu beschliessen. Es ist der Kanton, der über
sein Territorium verfügen darf. Daher muss es ihm auch móglich sein, eine Gemeinde aus sei-
nem Gebiet austreten zu lassen (àáhnlich einem Kantonswechsel einer Gemeinde). Jedoch stellt
der Schutz von Bestand und Gebiet von Art. 53 BV ein Hindernis dar, weil dadurch Gebiets-
veránderungen nur nach bundesverfassungsrechtlichen Verfahren móglich sind. Die Kantone
73 BSK BV-BELSER/MASSUGER, Art. 53 N 22.
7? Ebd., N 22.
39 Ebd., N 35.
3! Nach RUCH füllt die Aufnahme oder das Entlassen von Teilgebieten nicht unter den Schutz des Bestandes, weil
sich die Anzahl Kantone nicht verándert: SGK BV -RUCH, Art. 53 N 2; s.a. BIAGGINI BV, Art. 53 N 7f.
82 7 B. die Schaffhauser Grenzgemeinde Trasadingen mit rund 600 Einwohnern und einer Fláche von 4.1 km? oder
die Tessiner Grenzgemeinde Campo (Vallemaggia) mit rund 60 Einwohnern und einer Fläche von 43.3 km?
<https://www.bfs.admin.ch => Statistiken => Regionalstatistik => Regionale Porträts und Kennzahlen => Ge-
meindeportrits™> (besucht am 16.3.18).
$5 Die Gemeinde Zürich hat knapp 400'000 Einwohner und eine Fláche von 87.9 km?: «https://www.bfs.admin.ch
=> Statistiken => Regionalstatistik => Regionale Porträts und Kennzahlen => Gemeindeporträts> (besucht am
16.3.18).
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