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Was es bereits damals gab, waren Rabatte - nicht im
Sinne von Schnäppchen, aber sowohl im «Konsum» als
auch in der Bäckerei Heim konnten die Kundinnen die
Beträge ihrer Einkäufe in Rabattkarten stempeln las
sen, sodass sie bei einem bestimmten Betrag eine Preis
reduktion erhielten: «Jedes hatte eine Karte, die man
nach Hause nehmen oder bei mir lassen konnte und in
die der jeweilige Einkaufsbetrag eingestempelt wurde.
Sobald jemand für 100 Franken eingekauft hat, bekam
man 6 Franken retour», erläutert Marile Vogt.
Man hat mit dem Geschäft gelebt
Generell wurde früher nicht so stark zwischen Arbeit
und Freizeit unterschieden, besonders bei den Bauers
leuten war dies gar nicht möglich. Dementsprechend
kannte man auch keine offiziellen Öffnungszeiten bzw.
sie wurden nicht unbedingt eingehalten. Bis Marile
Vogt morgens um 8 Uhr die Fadentüren des Konsums
aufschloss, hat sie jeweils schon gebettet und alles im
Haushalt abgestaubt. Das Mittagessen hatte sie jeweils
am Abend zuvor vorgekocht und den restlichen Haus
halt nebenbei erledigt, wenn im Geschäft mal gerade
nichts los war. Ist dann trotzdem eine Kundin gekom
men, so hat diese gerufen und Marile konnte runter in
den Faden, um zu bedienen. Am Mittwochnachmittag,
wenn ihre Mädchen schulfrei hatten, hat Marile den
Konsum aber geschlossen. Das kannten Maria Heim
und Wilma Köhler nicht. Die Bäckerei Heim war sogar
am Sonntag nach der Frühmesse bis zum Amt etwa
eine Stunde und dann noch einmal am Sonntagabend
ab 18 Uhr geöffnet. Maria Heim und Wilma Köhler
erzählen, dass sie auch gerne einmal einen halben Tag
frei gehabt hätten, aber ihre Mutter habe darauf erwi
dert, dass dies nicht gehe, weil sie die Kundschaft nicht
beleidigen könne. Wilma Köhler durfte wegen des
Fadens nicht einmal an einem Samstag heiraten, son
dern musste ihre Hochzeit an einem Montag feiern.
Diese Kundenfreundlichkeit zeigte sich auch darin,
dass die Kundinnen jederzeit - egal ob Sonntagmor
gen, über Mittag oder spät abends - klingeln konnten,
auch wenn der Faden nicht offiziell offen war. Was dies
bedeutet, illustriert Maria Hämmerle anschaulich an
einem Beispiel: «Einmal an einem Sonntagmorgen, es
war Muttertag, wollte ich gerade in die Badewanne,
da hat es geklingelt. Vor der Tür stand eine Mutter,
der Mann gehe nur mit der Familie essen, wenn das
Kind anständige Schuhe habe.» Also habe sie selbst
verständlich gemeinsam mit ihr Schuhe für das Kind
ausgesucht und verkauft. Sowohl Maria Hämmerle als
auch Maria Heim, Wilma Köhler und Marile Vogt be
tonen, dass man das gerne gemacht hat, weil man eben
im Geschäft aufgegangen ist und mit dem Geschäft
gelebt hat.
Aus heutiger Sicht ausserdem interessant ist, dass die
Dorfläden zwar von Frauen geführt wurden, die Fizen-
zen und Namen aber fast immer auf die Männer liefen.
Fridolin Willi, der selbst hinter dem Fadentisch seiner
Eisenwarenhandlung stand, und Anna Eberle sowie
Marile Vogt, die selbst eine Bewilligung hatten, waren
diesbezüglich Ausnahmen. Generell war Einkäufen
eine Frauensache, wie Marile Vogt veranschaulicht:
«Die Frauen haben Febensmittel eingekauft und die
Männer kamen Zigaretten oder Stumpen holen.»
Persönlicher Kontakt
Was sich nach Meinung der vier Frauen am stärksten
verändert hat, ist der persönliche Kontakt zur Kund
schaft. Früher habe man immer Zeit gehabt, um sich
noch etwas zu erzählen. Man habe mehr Zeit gehabt,
über etwas Schweres, das man erlebt hat, zu reden oder
sich über das Neueste aus dem Dorf auszutauschen,
sich manchmal aber auch einfach eine schöne und lus
tige Geschichte zu erzählen. «Weitererzählen durfte
man aber nichts», fügt Marile Vogt hinzu. Wilma Köh
ler zeigt auf, dass man sich insgesamt mehr umeinan
der kümmerte. Wenn eine Frau zwei Tage nicht in den
Faden gekommen sei, habe ihre Mutter gewusst, dass
die Frau krank sei und eine ihrer Töchter mit einem
«Melchbrötle» zu ihr nach Hause geschickt, um sich zu
erkundigen und gute Genesung zu wünschen. Wilma
Köhler findet es schade, dass dies heute nicht mehr
der Fall ist, denn sie besuchte ehemalige Kundinnen
noch lange, nachdem sie den Faden schon nicht mehr
führten, und erlebte, welch grosse Freude die älteren
Frauen über ihren Besuch stets hatten. Und auch Ma
rile bedauert, dass heute kaum Zeit bleibt, das Münz
herauszusuchen. Maria Heim wendet ein, dass sich die
Zeiten geändert haben, man heute «drauf müsse» und
sich einen längeren Schwatz an der Kasse nicht mehr
leisten könne. Aber sie bemerkt, dass diese Entwick
lung gerade für ältere Menschen, die nicht mehr so gut
zu Fuss sind und nicht Auto fahren, schade ist.