Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2018) (2018)

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Was es bereits damals gab, waren Rabatte - nicht im 
Sinne von Schnäppchen, aber sowohl im «Konsum» als 
auch in der Bäckerei Heim konnten die Kundinnen die 
Beträge ihrer Einkäufe in Rabattkarten stempeln las 
sen, sodass sie bei einem bestimmten Betrag eine Preis 
reduktion erhielten: «Jedes hatte eine Karte, die man 
nach Hause nehmen oder bei mir lassen konnte und in 
die der jeweilige Einkaufsbetrag eingestempelt wurde. 
Sobald jemand für 100 Franken eingekauft hat, bekam 
man 6 Franken retour», erläutert Marile Vogt. 
Man hat mit dem Geschäft gelebt 
Generell wurde früher nicht so stark zwischen Arbeit 
und Freizeit unterschieden, besonders bei den Bauers 
leuten war dies gar nicht möglich. Dementsprechend 
kannte man auch keine offiziellen Öffnungszeiten bzw. 
sie wurden nicht unbedingt eingehalten. Bis Marile 
Vogt morgens um 8 Uhr die Fadentüren des Konsums 
aufschloss, hat sie jeweils schon gebettet und alles im 
Haushalt abgestaubt. Das Mittagessen hatte sie jeweils 
am Abend zuvor vorgekocht und den restlichen Haus 
halt nebenbei erledigt, wenn im Geschäft mal gerade 
nichts los war. Ist dann trotzdem eine Kundin gekom 
men, so hat diese gerufen und Marile konnte runter in 
den Faden, um zu bedienen. Am Mittwochnachmittag, 
wenn ihre Mädchen schulfrei hatten, hat Marile den 
Konsum aber geschlossen. Das kannten Maria Heim 
und Wilma Köhler nicht. Die Bäckerei Heim war sogar 
am Sonntag nach der Frühmesse bis zum Amt etwa 
eine Stunde und dann noch einmal am Sonntagabend 
ab 18 Uhr geöffnet. Maria Heim und Wilma Köhler 
erzählen, dass sie auch gerne einmal einen halben Tag 
frei gehabt hätten, aber ihre Mutter habe darauf erwi 
dert, dass dies nicht gehe, weil sie die Kundschaft nicht 
beleidigen könne. Wilma Köhler durfte wegen des 
Fadens nicht einmal an einem Samstag heiraten, son 
dern musste ihre Hochzeit an einem Montag feiern. 
Diese Kundenfreundlichkeit zeigte sich auch darin, 
dass die Kundinnen jederzeit - egal ob Sonntagmor 
gen, über Mittag oder spät abends - klingeln konnten, 
auch wenn der Faden nicht offiziell offen war. Was dies 
bedeutet, illustriert Maria Hämmerle anschaulich an 
einem Beispiel: «Einmal an einem Sonntagmorgen, es 
war Muttertag, wollte ich gerade in die Badewanne, 
da hat es geklingelt. Vor der Tür stand eine Mutter, 
der Mann gehe nur mit der Familie essen, wenn das 
Kind anständige Schuhe habe.» Also habe sie selbst 
verständlich gemeinsam mit ihr Schuhe für das Kind 
ausgesucht und verkauft. Sowohl Maria Hämmerle als 
auch Maria Heim, Wilma Köhler und Marile Vogt be 
tonen, dass man das gerne gemacht hat, weil man eben 
im Geschäft aufgegangen ist und mit dem Geschäft 
gelebt hat. 
Aus heutiger Sicht ausserdem interessant ist, dass die 
Dorfläden zwar von Frauen geführt wurden, die Fizen- 
zen und Namen aber fast immer auf die Männer liefen. 
Fridolin Willi, der selbst hinter dem Fadentisch seiner 
Eisenwarenhandlung stand, und Anna Eberle sowie 
Marile Vogt, die selbst eine Bewilligung hatten, waren 
diesbezüglich Ausnahmen. Generell war Einkäufen 
eine Frauensache, wie Marile Vogt veranschaulicht: 
«Die Frauen haben Febensmittel eingekauft und die 
Männer kamen Zigaretten oder Stumpen holen.» 
Persönlicher Kontakt 
Was sich nach Meinung der vier Frauen am stärksten 
verändert hat, ist der persönliche Kontakt zur Kund 
schaft. Früher habe man immer Zeit gehabt, um sich 
noch etwas zu erzählen. Man habe mehr Zeit gehabt, 
über etwas Schweres, das man erlebt hat, zu reden oder 
sich über das Neueste aus dem Dorf auszutauschen, 
sich manchmal aber auch einfach eine schöne und lus 
tige Geschichte zu erzählen. «Weitererzählen durfte 
man aber nichts», fügt Marile Vogt hinzu. Wilma Köh 
ler zeigt auf, dass man sich insgesamt mehr umeinan 
der kümmerte. Wenn eine Frau zwei Tage nicht in den 
Faden gekommen sei, habe ihre Mutter gewusst, dass 
die Frau krank sei und eine ihrer Töchter mit einem 
«Melchbrötle» zu ihr nach Hause geschickt, um sich zu 
erkundigen und gute Genesung zu wünschen. Wilma 
Köhler findet es schade, dass dies heute nicht mehr 
der Fall ist, denn sie besuchte ehemalige Kundinnen 
noch lange, nachdem sie den Faden schon nicht mehr 
führten, und erlebte, welch grosse Freude die älteren 
Frauen über ihren Besuch stets hatten. Und auch Ma 
rile bedauert, dass heute kaum Zeit bleibt, das Münz 
herauszusuchen. Maria Heim wendet ein, dass sich die 
Zeiten geändert haben, man heute «drauf müsse» und 
sich einen längeren Schwatz an der Kasse nicht mehr 
leisten könne. Aber sie bemerkt, dass diese Entwick 
lung gerade für ältere Menschen, die nicht mehr so gut 
zu Fuss sind und nicht Auto fahren, schade ist.
	        

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