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den 29. August 1907 eine Besichtigung der geplanten
Bahnlinie angesetzt. An dieser <kommissionellen Be
gehung) nahmen unter Führung von Bundesrat Josef
Zemp insgesamt 32 Personen teil, darunter SBB-Ge-
neraldirektor Plazid Weissenbach, Vertreter der Eisen
bahnkommissionen sowie der Kantone Graubünden
und St. Gallen und natürlich die Konzessionsbewerber.
Aus heutiger Sicht besonders brisant: Es brauchte die
Intervention des österreichischen Gesandten in Bern,
um zu erreichen, dass das Eisenbahndepartement für
diesen wichtigen Augenschein nachträglich auch die
Repräsentanten des Fürstentums Liechtenstein einlud.
Die Fürstlich Liechtensteinische Regierung wurde ver
treten durch:
1. Karl von In der Maur, Chef der fürstlichen Regierung
2. Ingenieur Gabriel tiiener, fürstlicher Landestechniker
3. Dr. Albert Schädler, Obmann des Initiativkomitees
für die Bahn Landesgrenze-Schaan und Vorsitzender
des Liechtensteinischen Landesausschusses
4. Realitätenbesitzer und Ingenieur Karl Schädler,
Mitglied des Initiativkomitees.
Hoher Besuch auch in Balzers
Im Mittelpunkt dieser Begehung [zu Fuss und mit
Kutschen] stand Bundesrat Zemp. Der Chef des Post-
und Eisenbahndepartementes wollte sich vor Ort über
die Konkurrenz-Situation SBB-RhB durch die Bun
desbahn-Vertreter überzeugen lassen.
Das Programm für die «Augenscheins-Reise der Eisen
bahnkommission beider Räte betr. Landquart-Landes-
grenze[-Schaan]» war klar strukturiert und auf zwei
Tage im Spätsommer 1907 angesetzt:
• «Abfahrt des Zuges in Zürich: Mittwoch, 28. August
1907, um 5:13 Uhr [1]
• Eintreffen in Ragaz [1937 in Bad Ragaz umbenannt]:
8:16 Uhr.
• Anschliessend begibt man sich in das Hotel <Quel-
lenhoh.
• Am Donnerstagmorgen Fahrt per Wagen von Ragaz
nach Landquart, retour über Maienfeld nach Fläsch.
10 Uhr ca. Ankunft in Fläsch, dort kleiner Imbiss.
• Von Fläsch um das Ellhorn bis Balzers zu Fuss. Dann
«per Wagen weiter über Vaduz nach Schaan und re
tour nach Vaduz. Mittagessen in Vaduz und Schluss
des Augenscheines».
Den Nachbarn nicht als Luft behandeln
Nach wie vor waren die Erwartungen und Hoffnungen
gross im Fürstentum, die Enttäuschung über die Hal
tung der Schweiz umso bedeutender. Das Liechten
steiner Volksblatt) kommentierte bereits am 26. Januar
1906, also noch vor der bundesrätlichen Kehrtwende:
«Es ist zu hoffen, dass der Bundesrat und die
Nationalversammlung nicht den engen geschäftlichen
Standpunkt der Bundesbahnen einnehmen, sondern
sich im allgemeinen Verkehrsinteresse von höheren und
moderneren Gesichtspunkten leiten lassen werden [...]
Endlich müsste es offenbar als ein Akt der Unfreundlichkeit
gegen das benachbarte kleine Liechtenstein aufgefasst
werden, wenn uns durch eine ablehnende Entschliessung
der Schweiz die noch einzig bestehende Möglichkeit, eine
Eisenbahn zu bekommen, vereitelt würde».
Der Kommentator schloss mit der Hoffnung, dass sich
die Schweizer Politik weitherzig zeige «und das klei
ne Land, welches als friedlicher Nachbar bisher stets die
besten Beziehungen zur Schweiz unterhalten hat, nicht als
Luft behandle».
Der bundesrätliche Rückzug
Kein halbes Jahr nach der positiven Beurteilung des
Konzessionsgesuches erfolgte die offizielle Kehrtwen
de in Bern.
Es wurde mit harten Bandagen gekämpft. Zur Wah
rung ihrer berechtigten und ganz erheblichen Inter
essen gebe es «kein anderes wirksameres Mittel, als die
Verweigerung der Konzession für eine Linie Landquart-
Schaan». 15
In der überarbeiteten Botschaft des Bundesrates vom
19. November 1907 an das Parlament hiess es nun:
«Aus den sehr einlässlichen Erhellungen der General
direktion der schweizerischen Bundesbahnen geht hervor,
dass die projektierte Linie in erheblichem Masse auch
dem Durchgangsverkehr zu dienen bestimmt wäre. Der
infolge dieser Konkurrenz sich ergebende Einnahmenaus
fall wird von der Generaldirektion auf das Jahr 1910
berechnet und auf Fr. 460'000 angegeben [...] Wenn wir
mit Botschaft vom 16. April 1907 die Erteilung der Kon
zession beantragt haben, so geschah es hauptsächlich aus
dem Grunde, weil wir dem Charakter der projektierten
Linie Schaan-Landquart hauptsächlich lokalen Cha
rakter beimassen und weil die Gemeinden Landquart,
Jenins, Maienfeld, Ragaz und Fläsch ein Interesse an der
Verwirklichung dieses Projektes hatten. Allein der diesen
Gemeinden erwachsende Vorteil würde mehr als aufge-