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Unnachgiebige SBB
Es blieb aber bei der Frontalopposition der SBB. Wenn
es sich nur um eine Fortsetzung der Rhätischen Bahn
handeln würde, könnten die Bundesbahnen darauf ver
zichten, gegen das Projekt Stellung zu nehmen, hielt
SBB-Generaldirektor Plazid Weissenbach in der Ver
nehmlassungsantwort am 23. Juni 1905 fest. fJier aber
handle es sich um eine internationale Finie. Gefährlich
sei primär «die Erstellung einer direkten Verbindung mit
dem Bodensee und weiter nach Süddeutschland, unter
Umgehung der Bundesbahnen und der Schweiz». 4 Die
Stellung der SBB gegenüber ausländischen Bahnen
werde mit dieser Konkurrenzlinie erheblich erschwert.
Die SBB ersuchten das Eisenbahndepartement zuhan
den der Bundesversammlung, die Ablehnung dieses
Konzessionsgesuchs zu beantragen.
«Unbegreiflich, kleinlich, engherzig»
In einem zwölfseitigen Brief zeigte sich das siebenköp
fige Initiativkomitee erstaunt über die harsche SBB-Re-
aktion: Es gehe darum, diese Konzessionsbewerbung
«nicht nach kleinlichen, engherzigen Rücksichten» zu be
urteilen, «sondern nach weit ausschauenden, das Ganze
und längere Zeiträume umfassenden Gesichtspunkten.
Wenn wir solche bei der Generaldirektion der SBB nicht
finden, so suchen wir sie beim hohen Bundesrat und in
der Bundesversammlung». 5
Diesem siebenköpfigen Komitee gehörten folgende
Personen an: Theophil Sprecher von Bernegg [Präsi
dent bis 1907], Kantonsrat Fridolin Simon, Mitbesit
zer des Grand-fJotel Quellenhof in Bad Ragaz, Land-
ammann Paul Tanner aus Maienfeld, Regierungsrat
Theophil Marugg aus Fläsch, Ingenieur Elans von Gu
gelberg aus Maienfeld [Präsident ab 1907], Gemein
deammann Bernhard Rist aus Ragaz sowie Gemeinde
rat Josef Bonifaz Riederer, ebenfalls aus Ragaz.
Das Komitee betonte nochmals eindringlich, beim
vorliegenden Projekt handle es sich um eine schmal
spurige Fokalbahn. Einzig die SBB-Strecke Sargans-
Buchs könne als internationale Verkehrslinie gelten:
«Hier verkehren die Schnellzüge Paris-Wien». Der Ein
fluss des internationalen Reiseverkehrs auf die geplan
te Schmalspurbahn wurde von den Initianten als der
art marginal betrachtet, dass sie diesen nicht einmal in
ihre Finanzberechnungen eingeplant hatten.
Bundesrat schützte SBB-Interessen
Die Replik der SBB auf diese Eingabe folgte prompt
und bissig. Man halte an den Erklärungen vom 23. Juni
1905 fest. Wie üblich, wurden die beteiligten Kreise
[Bundesrat, Konzessionsbewerber, Kantone] jeweils
gegenseitig mit Kopien informiert. Weil es noch keine
anderen Vervielfältigungsmöglichkeiten gab, mussten
diese Briefe jeweils mit Schreibmaschine und vor der
Jahrhundertwende noch immer mit Feder und Tinte
peinlich genau vervielfacht werden.
Besonders pikant: Im Eisenbahndepartement kürzte,
respektive schönte man die SBB-Replik, indem her
abwürdigende Passagen gegenüber Österreich und der
Rhätischen Bahn in den Kopien weggelassen wurden.
Liechtensteins starke Argumente
In einem 16-seitigen Memorandum, überschrieben
mit «Pro memoria», sprach sich die Liechtensteini
sche Regierung am 16. Januar 1906 mit Nachdruck
für den Bau der Schmalspurbahn von Landquart nach
Schaan aus. Die «schon längst lebhaften Bestrebungen,
bessere Verkehrsverbindungen zu erhalten», würden bei
der Umsetzung des Projektes «in befriedigender Weise
verwirklicht». Politisch und taktisch geschickt, wurden
aber nicht die Vorteile für das Fürstentum, sondern j ene
für die Schweiz hervorgehoben. Kritik fehlte trotzdem
nicht. So habe die SBB-Generaldirektion «offenbar
ausser Betracht gelassen, dass der Fremdenverkehr in
der Schweiz gerade wegen der vielen Konkurrenzlinien
eine so bedeutende Ausdehnung erfahren hat.» Und
weiter: «Durch den Ausbau der Rhätischen Bahn nach
Davos und nach dem Engadin erhielt die Rheintallinie
der Bundesbahnen einen sehr erheblichen und ihr
vorteilhaften Zufluss. Und nun, wo es sich darum
handelt, der Rhätischen Bahn durch Ermöglichung des
Anschlusses an die österreichischen Staatsbahnen in
Schaan die Gelegenheit zu einer vorteilhaften Entwicklung
zu eröffnen, sind es gerade die Bundesbahnen, welche
einen solchen Vorteil zu verhindern suchen».
Auch die St. Gaffer Exekutive kam nicht ohne Kritik
davon: Lakonisch stellte die fürstliche Regierung fest:
«Die Motive der Beschlussfassung des Regierungsrates in
St. Gallen stehen auf sehr schwachen Füssen». In Liech
tenstein war man überzeugt, dass die projektierte Bahn
schweizerische Interessen nicht benachteilige, sondern
geradezu fördere. Das Liechtensteiner Memorandum
endete mit deutlichen Worten: