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Heinz Schild
Als die SBB Liechtenstein aufs Abstellgleis stellten
Gross waren die Hoffnungen im Fürstentum Liech
tenstein: Das 1905 vorgestellte Projekt einer Schmal
spurlinie, als Verlängerung der Rhätischen Bahn von
Landquart über Maienfeld-Bad Ragaz-Balzers-Vaduz
nach Schaan, bis an die Grenze Vorarlbergs, sollte dem
Land in schwieriger Zeit endlich den lange erhofften
wirtschaftlichen Aufschwung bringen und zum Rück
grat des Liechtensteiner Verkehrsnetzes werden. In
Bern hatte der Bundesrat bereits seine Zustimmung
gegeben, doch die Intervention der Schweizerischen
Bundesbahnen machte alles zunichte und wirkte wie
ein Schlag ins Gesicht. Diplomatischer ausgedrückt:
Es war ein unfreundlicher Akt der Schweiz gegenüber
dem kleinen Nachbarstaat.
Der Vorgang ist in der Schweizer Verkehrsgeschichte
einmalig. Da wird dem Parlament die bundesrätliche
Vorlage zum Bau einer neuen, attraktiven Schmalspur
linie präsentiert. Doch bevor diese von National- und
Ständerat verabschiedet werden kann, interveniert die
SBB-Generaldirektion an höchster Stelle. Sie forderte
nicht nur eine Neubeurteilung der Situation, sondern
bekämpft das Projekt mit allen Mitteln - erfolgreich.
Die Bundesbahnen, so die Befürchtung, würden durch
den Bau der Schmalspurlinie auf der seit 1858 be
stehenden Normalspurstrecke Chur-Sargans-Buchs-
Rheineck massive Betriebsverluste einfahren. Zudem
gelte es als sicher, dass die Österreichischen Staats
bahnen die Situation «gründlich ausnützen würden»,
indem die Touristenströme aus Österreich und
Deutschland in Feldkirch, in Umgehung der SBB, über
diese neue Linie der Rhätischen Bahn direkt ins Bünd
nerland gelenkt würden.
Kleinliches Hickhack
Die Initianten mit Theophil Sprecher von Bernegg an
der Spitze, Verwaltungsratspräsident der Rhätischen
Bahn, Oberstkorpskommandant und nachmaliger Ge
neralstabschef der Schweizer Armee, bissen auf Gra
nit. Nur ein paar Wochen nachdem das Konzessions
gesuch von 1905 Bern erreicht hatte, stiegen die ersten
St. Galler Lokalpolitiker auf die Barrikaden. Ständerat
Johannes Geel und Gemeindevertreter aus Sargans,
Meis und Vilters ersuchten den Bundesrat «energisch
gegen das Projekt Stellung zu nehmen». 1 Umgekehrt
zeigten vor allem die Hoteliers aus Bad Ragaz [SG]
grosses Interesse am Projekt. Auch die Bündner Regie
rung befürwortete die «Verlängerung der Rhätischen
Bahn nach Liechtenstein und eventuell bis Feldkirch»
umgehend.
St. Galler Regierung für Ablehnung
Auch die St. Galler Kantonsregierung fürchtete die en-
net-rheinische Konkurrenz. Die projektierte Bahnlinie
werde «ohne Zweifel einen bedeutenden Lokalverkehr auf
dem rechten Rheinufer ins Lehen rufen [...] infolge der
leichteren Möglichkeit zur Bildung besserer und öfterer
Zugsverbindungen». 2 Allerdings: Genau diese «leichteren
Möglichkeiten und besseren Zugsverbindungen» dien
ten, zusammen mit der idealen Erschliessung ganzer
Talschaften, beim Bund und bei den Kantonen bis
anhin immer als Hauptargumente für eine Konzes-
sionierung der vorliegenden Gesuche. Um das Pro
jekt nicht zu gefährden, änderten die Initianten ihre
Pläne. Sie streckten die Linie und verzichteten auf den
Einbezug des auf St. Galler Kantonsgebiet liegenden
Kur- und Badeortes Bad Ragaz. Urplötzlich kehrte der
Wind. Diese höchst unerwartete Entwicklung schreck
te St. Gallen plötzlich auf. Prompt stimmte nun der
Regierungsrat dem Bauvorhaben hastig zu und knüpf
te die Konzession zugleich an die Bedingung, «dass alle
Züge, ohne Ausnahme, welche Personen befördern, nach
Ragaz geführt werden müssen [.. J.» 3