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theil von den vorgenannten beeden partheyen über diesel
ben marken waideten oder von waid und gemeindschafts
wegen etwas einander thätten oder thun wollten, da soll
und mag als dann es der andere theil demselben wohl ver
wehren und darum pfändten auf alle weis, wie es die ge-
schwome kundschaften gesagt haben.
Ein klarer Sieg vor Gericht für die Balzner und eine
ebenso klare Niederlage für die Fläscher und Maien
felder also? Was die Weidestreitigkeiten an der St. Lu
zisteig betrifft, ist diese Frage zweifellos zu bejahen,
auch wenn im Grunde genommen wohl lediglich eine
bereits früher erzielte Vereinbarung schriftlich festge
halten wurde, was allerdings für beide Parteien für die
Zukunft wichtig sein mochte.
Warum aber trotzdem so viel Aufwand für die schrift
liche Fixierung einer wohl im Konsens unter den
Konfliktparteien schon längst erzielten Regelung auf
teurem Pergament? Ging es 1389 wirklich nur um
die Festlegung von Weidegrenzen oder standen etwa
vielleicht noch ganz andere Interessen zur Diskussion?
Solche einem lediglich lokale Bedeutung zuzuschrei
benden Nutzungskonflikt übergeordnete fierrschafts-
interessen etwa?
Ohne auf die «politischen» Verwerfungen an dieser
Stelle eingehen zu können, die die erst vor drei Jah
ren am 9. Juli 1386 geschlagene Schlacht bei Sempach
auf das regionale Adelsgefüge bewirkt hatten - diese
wären eine eigene gründliche Untersuchung wert -
darf davon ausgegangen werden, dass in solch unruhi
gen Zeiten die Pflege guter Beziehungen und die Stär
kung verwandtschaftlicher Solidaritäten eine wichtige
Rolle spielten.
Mit fleinrich V. von Werdenberg-Sargans zu Vaduz
und Donat von Toggenburg standen sich zwar zwei
flerrschaftsvertreter vor Gericht gegenüber, die ihre
Interessen zweifelsohne zu wahren wussten. Sie
waren indes wohl keineswegs bereit, wegen eines für
sie kaum von grundsätzlicher Bedeutung gewesenen
Weidekonflikts ihrer Untertanen diesen Streit eskalie
ren zu lassen. Solches hätte unabsehbare Folgen nach
sich ziehen können. Trotzdem galt es in einem über
weite Strecken aufgrund der topographischen Verhält
nisse noch kaum festgelegten Grenzbereich Präsenz
zu markieren und zumindest die gegenseitigen Inte
ressen zur Sprache zu bringen. Ein Nutzungskonflikt
zwischen benachbarten, an diesem Grenzbereich sie
delnden und wirtschaftenden Dorfgenossen konnte
folglich durchaus zum Anlass genommen worden sein,
den im Fhnblick auf eine endgültige Festlegung der
Flerrschaftsgrenzen von beiden Seiten akzeptierbaren
Verhandlungsspielraum auszuloten.
Man darf jedoch nicht so weit gehen, in dem 1389
vor das Schiedsgericht gezogenen Streitfall um Wei
degründe lediglich einen von den Flerrschaftsträgem
vorgeschobenen Grund zur Regelung eigener Grenz
interessen zu sehen. Ebenso ist es kaum plausibel,
dass ein solch grosser Aufwand betrieben wurde, um
einen für die involvierten Dorfgenossen von Balzers
und Fläsch/Maienfeld zwar durchaus existenziellen,
für ihre Flerrschaftsvertreter letztlich aber wohl nur
als einen von untergeordneter Bedeutung eingestuften
Nutzungskonflikt einer gerichtlichen Lösung zuzufüh
ren. Das vom Gerichtsvorsitzenden Johann von Wer
denberg-Sargans und den vier zugesetzten Schiedsrich
tern schliesslich gesiegelte Schiedsgerichtsurteil vom
22. August 1389, wann wir alle vier einhelliglich diesen
ausspruch gethan haben, war überraschend eindeutig.
Das lässt dennoch Platz für Spekulationen, deren hy
pothetische Natur wir keineswegs verhehlen wollen.
Es lohnt sich aber, sich damit auseinanderzusetzen und
eigene Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.
Vorläufiges Fazit
Ein endgültiges Fazit über die Bedeutung der hier be
handelten Urkunde kann und soll im Fhnblick auf die
künftig noch zu erörternden Schriftzeugnisse, die sich
auf unsere Urkunde von 1389 berufen, nicht gezogen
werden. Die Schlussfolgerungen können einstwei
len nur von vorläufiger Natur sein. Anhand weiterer
Quellen mögen sie bestätigt oder relativiert werden,
oder sie werden sogar verworfen werden müssen. Es
wird also spannend sein, was für Erkenntnisse die von
1389 aus gesehene Zukunft im Fhnblick auf die Balz
ner Grenzkonflikte für uns noch bringen wird.
Als Fakt festzuhalten bleibt vorerst: Die von einem
Schiedsgericht am 22. August 1389 ausgestellte Ur
kunde regelt umstrittene Weiderechte an der St. Lu
zisteig zwischen den beiden Konfliktparteien Balzers
und Fläsch/Maienfeld im Sinne einer durch 16 Balz
ner Dorfgenossen eidlich beschworenen und vom
Gericht einstimmig anerkannten Grenzziehung. Wo
genau diese Grenzlinie im Gelände heute zu verorten
ist, kann aufgrund der aufgeführten und heute teilwei
se nicht mehr identifizierbaren Örtlichkeiten nicht mit