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setzt worden war, um den immer wieder vorkommen
den Weidestreitigkeiten mit den Fläschern und Mai
enfeldern endlich Einhalt bieten zu können. Und - so
dürfte wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit das von
den Balzner Zeugen vorgebrachte Hauptargument ge
wesen sein - auch ihren Gegnern vor Gericht war der
Standort dieses Grenzsteins bestens bekannt. Denn es
ist nicht daran zu zweifeln, dass sie diesen Stein, mög
licherweise anlässlich eines Untergangs, gemeinsam
gesetzt und sich dabei über die Aufteilung des umstrit
tenen Weidegebiets verständigt hatten. Die Reaktion
der Fläscher Zeugen vor Gericht scheint jedenfalls, so
lässt sich dem Urkundentext entnehmen, keineswegs
überzeugend gewesen zu sein, und der Gerichtsvor
sitzende hält denn auch unmissverständlich fest: Dar
wider sagten meines oheims graf Donats und seiner hüte
kundtschaften gantz und gar und auf keine weiss nichts,
dass denen von Fhsch etwas nuz oder guth gewesen wäre.
Ein klares Verdikt also gegen die Dorfgenossen von
Fläsch/ Maienfeld und ihren Versuch, die Weidegründe
an der St. Luzisteig auf Kosten der Balzner Nachbarn
auszudehnen? Fragen sind diesbezüglich angebracht.
Warum nur ziehen die Fläscher Dorfgenossen bei einer
augenscheinlich so klaren Sachlage den Konflikt vor
ein Gericht? Mussten sie nicht offensichtlich damit
rechnen, dass es für sie ausser Spesen nichts dabei zu
holen gab? Was für eine Rolle spielte dabei der sie vor
Gericht vertretende Landesherr Donat von Toggen-
burg? Was für ein Interesse hätte er an einem Gerichts
prozess haben können, dessen Ausgang im Grunde ge
nommen wohl von Anfang an fest stand und nur zu
Ungunsten seiner Untertanen ausgehen konnte? Was
also stand für ihn auf dem Spiel?
Zunächst stellt sich jedoch die Frage, ob wir wirklich
davon ausgehen dürfen, dass für die damaligen Kon
fliktparteien der Grenzverlauf im umstrittenen Weide
gebiet an der St. Luzisteig unverrückbar feststand.
Guy Marchal hat in seinem Einleitungsaufsatz zu dem
von ihm herausgegebenen Sammelband über Grenzen
und Raumvorstellung auf die Problematik hingewie
sen, die sich mit der Vorstellung von linearen Grenzen
aus mittelalterlichen Grenzbeschreibungen ergibt. Auf
moderne Karten übertragbare Grenzpunkte würden
zur Annahme verleiten, es gäbe als direkte Verbin
dung zwischen den Orientierungspunkten exakt ver
laufende Grenzlinien. Wo aber aus topographischen
Gründen eine abschreitbare lineare Grenzsetzung im
Gelände nicht vorgenommen werden konnte, sei es
fraglich, wie reell solche Verbindungslinien gewesen
und als wahrnehmbare Grenzen wirksam geworden
seien. Marchal warnt denn auch davor, sich lediglich
auf die Grenze selbst zu konzentrieren und anzuneh
men, präzise Grenzvorstellungen seien im Mittelalter
möglich gewesen, weil eine Grenze problemlos auf
unseren Karten eingezeichnet werden könne.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aber daraus
für die vor Gericht verhandelten Grenzstreitigkei
ten von 1389 ziehen? Soweit die durch den von den
Konfliktparteien gesetzten Markstein in der Brataser-
na-Wiese festgelegte Grenze mit den beiden Rich
tungsangaben Rothe Rüffe auf der einen und Spitzagud
auf dem Fläscherberg auf der anderen Seite problem
los im Gelände zu Fuss abgeschritten werden konnte,
dürfen wir ohne Zweifel davon ausgehen, dass es sich
um eine genaue und von den Parteien nicht in Frage
gestellte Grenzlinie handelte. Die Fläscher und Mai
enfelder konnten anscheinend auch nichts dagegen
Vorbringen.
Anders hingegen wird es sich wohl in jenem Gebiet
verhalten haben, in denen der ungefähre Grenzver
lauf lediglich durch die oben erwähnten Fluchtpunk
te vorgegeben wurde und vielmehr einen Grenzsaum
bezeichnete, in welchem [künftige] Nutzungskonflik
te nicht ausgeschlossen werden konnten. 1389 jedoch
entschied das Gericht einen Konflikt aufgrund von
vorliegenden Zeugenaussagen, die es den beteiligten
Schiedsrichtern anscheinend leicht machten, ein ein
helliges und zugunsten der Balzner Dorfgenossen lau
tendes Urteil zu fällen.
Die Sachlage war so klar, dass kein Stichentscheid des
Gerichtsvorsitzenden nötig wurde und Johann von
Werdenberg-Sargans kann denn auch befriedigend
festhalten: So haben dieselben vier, und ein jeder besonders
von ihnen, mir zur antworth ertheilt auf ihren eyd, dass die
ehegenannte meines vettern graf Heinrichs und seiner hüte
denen von Balzers ihre kundtschaften um weit und viel
in allen Sachen die bessere und gerechtere kundtschaften
seyen und sonderheitlich, dass die von Balzers billig und
von rechts wegen bey den vorgenannten marken bleiben
solhn, und dass die von Fhsch kein ineh dafür herab von
ihnen waiden solhn noch von waid oder gemeindschafts
wegen für dieselben herabwerts etwas zu schaffen oder zu
thun haben solhn. Dargegen solhn auch die von Balzers
für die ehegenannten marken hinaufwerts kein ihniges vieh
waiden noch von waid oder gemeindschafts wegen dafür
hinauf etwas zu thun oder zu schaffen haben. Und wehher