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Anfang vermutlich das Unterfangen eines Untergangs
stand: eines zwar unmittelbar erfolgreichen, aber weil
lediglich auf mündliche Vereinbarungen sich stüt
zenden, letztlich daher nicht ausreichenden Versuchs
eines zu lösenden Nutzungskonflikts.
Das Schiedsgericht am 22. August 1389
Ich graf Hanns von Wertenberg herr zu Sargans thue
kundt jedermänniglich öfentlich mit diesem brief allen
denen, die ihn ansehen oder hören lesen, so der Einlei
tungssatz unserer Urkunde, in welcher der schon seit
längerer Zeit andauernde Konflikt um Weidegründe
zwischen Balzers und Fläsch / Maienfeld endlich ent
schieden werden sollte. Die bislang unternommenen
Bemühungen der Dorfgenossen - und solche haben
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit statt
gefunden, ob in Form eines Untergangs muss jedoch
letztlich dahingestellt bleiben -, ihren Streit in gegen
seitigem Einvernehmen beizulegen, waren gescheitert.
Es blieb folglich nur noch der Gang zum ordentlichen
Gericht übrig. Oder, und diese Frage muss hier gestellt
werden, hatten die involvierten Parteien gar keine an
dere Wahl, als ihren Weidekonflikt aufgrund besonde
rer Umstände von einem ordentlichen Schiedsgericht
entscheiden zu lassen? Bei den Kontrahenten handelte
es sich ja nicht um benachbarte Dorfgenossenschaften
derselben fierrschaft, sondern zwischen Balzers und
Fläsch /Maienfeld verlief eine fierrschaftsgrenze. Mit
der Regelung um die umstrittenen Weidegrenzen ging
folglich eine Festlegung der Dorfgrenze einher, die
zugleich eine fierrschaftsgrenze mitbestimmte. Auf
diesem fiintergrund ist es nur allzu verständlich, dass
die fierrschaftsvertreter in dieser Angelegenheit ein
gewichtiges Wort mitreden wollten.
Wenden wir uns also zunächst den Personen zu, die
vor diesem Schiedsgericht auftreten. Als Gerichtsvor
sitzender hält Graf Johann von Werdenberg-Sargans
zu Beginn fest, dass es sich um einen Streit um Wei
degründe an der St. Fuzisteig handelte, dämmen mich
beede theil und insonderheit mein vetter graf Heinrich
von Wertenberg und Sargans von wegen seinen leuten
zu Balzers und mein oheim graf Donat von Toggenburg
von wegen seinen leuten zu Flesch geflissentlich erbetten
haben, dass ich dämm ein (gemein] mann worden bin.
Es waren somit keineswegs lediglich die Dorfgenos
sen von Balzers und Fläsch/Maienfeld, die in ihrem
Streit an das Gericht gelangten, es waren insonder
heit die beiden fierrschaftsvertreter, die diesen Kon
flikt von einem Schiedsgericht beurteilt haben woll
ten. Ihnen genügte offenbar eine möglicherweise
von Untergängern erzielte, mündlich vereinbarte
Bereinigung des zwischen ihren Untertanen herr
schenden Weidekonflikts keineswegs. Die Angelegen
heit war von übergeordneter Natur und verlangte eine
von einem ordentlichen Gericht gefällte Entschei
dung, auf dessen schriftlich festgehaltenes Urteil man
sich bei Bedarf stützen konnte.
Auch wenn der fiauptgegenstand des Konflikts in der
umstrittenen Weidenutzung lag, so standen doch die
Interessen verschiedener Dorfgenossenschaften auf
dem Spiel. Folglich scheint es uns richtig zu sein, nicht
nur von einem Konflikt um Nutzungsrechte, sondern
von einem Streit um Dorfgrenzen zu sprechen. Dass
diesen festzulegenden Dorfgrenzen darüber hinaus
der Charakter einer Fandes- bzw. fierrschaftsgrenze
zukam, machte die Sache nicht einfacher und war vor
allem für den prozessualen Weg der Konfliktlösung
von Bedeutung. Es blieb nur der Weg, den Streit einem
neutralen Schiedsrichter zur Entscheidung vorzule
gen, oder aber die Reichsgewalt einzuschalten und die
ganze Angelegenheit einem kaiserlichen Kommissar
zur Beurteilung vorzulegen.
Die Parteienvertreter graf Heinrich von Wertenberg und
Sargans von wegen seinen leuten zu Balzers und graf
Donat von Toggenburg von wegen seinen leuten zu Flesch
entschieden sich für ein Schiedsgericht und ein Blick
auf die Verwandtschaftsverhältnisse lassen vermuten,
dass sie wohl ihre guten Gründe dafür hatten. Der Vor
sitzende des angerufenen Gerichts, Johann I. von Wer
denberg-Sargans [urk. belegt 1342-1399], und fiein-
rich V. von Werdenberg-Sargans zu Vaduz [urk. belegt
1355 -11397] waren über ihre Väter, die Brüder Rudolf
IV. von Werdenberg-Sargans [urk. belegt 1328-1361]
und fiartmann III. von Werdenberg-Sargans zu Vaduz
[urk. belegt 1317 -1353] - wie es in der Urkunde heisst
- vetter[n), also Cousins väterlicherseits. Im gleichen
Verwandtschaftsverhältnis jedoch mütterlicherseits
stand unser Gerichtsvorsitzende aber auch mit Donat
von Toggenburg [urk. belegt 1353-t 1400]. Seine Mut
ter Ursula von Vaz [urk. belegt 1337-1367] war eine
Schwester der Mutter Donats, Kunigunde von Vaz [urk.
Seite 71: Blatt 1 v der überlieferten Urkundenabschrift.