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in einem Schuppen schlafen musste, wenn ihm nicht
ein Bauer einen Unterschlupf für eine Nacht bot. Er
nähren musste er sich wohl meist von dem, was er im
Wald fand, irgendwo stahl oder erbettelte. Es entbehrt
nicht einer gewissen Tragik, dass der Schuldbrief über
40 Gulden, den er nicht mehr einlösen konnte, ein
gewisses Vermögen dargestellt hätte, von dem er in
der schlimmsten Not hätte zehren können.
Die Sterberegisterbücher der Pfarrei Balzers
Die wichtigste Quelle zum vorliegenden Beitrag über
das fJungerjahr in Balzers ist das Pfarrbuch der Ge
meinde Balzers, das im Gemeindearchiv aufbewahrt
wird. Darin sind die Geburten, Todesfälle, Ehen und
Firmungen verzeichnet. Wertvoll für diese Arbeit ist
vor allem das Sterberegister, zu dem ich einige ein
führende Bemerkungen machen möchte. Voraus
zuschicken ist, dass die Pfarrbücher keine absolut
zuverlässigen Quellen sind, da einzelne Pfarrherren
mitunter Geburten und Todesfälle gar nicht oder
falsch eingetragen haben.
Das Sterberegister wurde auf Lateinisch geschrieben,
es ist aber - mit Ausnahme einiger Krankheitsbezeich
nungen - leicht zu verstehen. Im Sterberegister wird
zwischen «Infantes» und «Comunicantes» unterschie
den: 5 «Comunicantes» waren Personen, die die Kom
munion empfangen durften, sie waren über neun Jahre
alt. Als «Infantes» wurden Kinder bezeichnet, die die
Kommunion noch nicht erhielten, sie waren also in
der Regel weniger als neun Jahre alt. Im Unterschied
zu den Erwachsenen bekamen die Kinder die Sterbe
sakramente nicht. Nach katholischer Lehre waren Per
sonen, «denen der Gebrauch der Vernunft mangelte»,
nicht fähig, dieses Sakrament zu empfangen, da sie
keine Sünden begehen konnten. Dies waren insbeson
dere Kinder und geistig Behinderte. Für die Gläubigen
und den Pfarrer war es wichtig, dass die Sterbenden
die Sterbesakramente erhielten, da die letzte Ölung
eine sündenvergebende Wirkung hatte. Die «Vorse
hung» wurde denn auch im Sterbebuch ausdrücklich
erwähnt [«omnihus morihundomm sacramentis monitus»:
versehen mit allen Sterbesakramenten, das heisst
Beichte, Kommunion und letzte Ölung]. Die Elinter-
bliebenen konnten damit rechnen, dass der Verstorbe
ne in den Elimmel aufgenommen worden war.
Von 1811 bis 1818 war Josef Anton Mayer [1745-1827]
Pfarrer in Balzers. Bis 1816 gab er im Sterberegister in
der Regel die Todesursache noch nicht an, nur in be
sonderen Fällen [zum Beispiel bei Unfall, Verbrechen
oder manchmal bei Tod im Kindbett] wurde die To
desursache erwähnt. Ab 1817 führte Pfarrer Mayer das
Register in neuer Form: Er wählte eine Tabelle mit fünf
Spalten für das Sterbedatum, den Namen des Verstor
benen, den Wohnort, das Alter und die Todesursache.
Bei Kindern wurde in der Regel auch nach 1817 keine
Todesursache angegeben, was aber keine religiösen
Gründe gehabt haben dürfte.
Im Pfarrbuch erwähnte Hungertote
Peter Kaiser schreibt in seiner Geschichte des Fürsten
tums Liechtenstein:
«Die Wiederkehr und der Genuß des Friedens [nach
dem Wiener Kongress] wurde getrübt durch mehrere
aufeinander folgende Mißjahre, welche große Not in un
serer Landschaft erzeugten. Besonders drückend war sie
in den Jahren 1816 und 1817. Eigentlich Hungers starb
jedoch Niemand, aber die Folgen des ausgestandenen
Mangels wurden Vielen tödlich.» b
Peter Kaiser [1793-1864] hatte die Not als junger
Mann selber miterlebt, aber in Bezug auf fJunger-
tote irrte er sich. Richtig ist aber sein Elinweis, dass
viele Leute nicht am fJunger gestorben sind, sondern
an Folgekrankheiten, die durch den fJunger und die
Mangelernährung verursacht wurden.
Zwei Abbildungen auf einer Hun
gertafel aus dem Toggenburg. Links
eine Frau, die sich zusammen mit
dem Vieh von Gras ernährt; rechts
ein verhungerter Mann. Das Blatt
ist am 14. März 1818 datiert und
wurde von Josabe Zuberbühler aus
Umäsch verfasst.