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Hiroshima abgeworfen wurde. In Indonesien kamen
schätzungsweise lOO’OOO Menschen [direkt und indi
rekt] ums Leben. Durch die Eruption wurde heisses
Schwefeldioxyd in die Stratosphäre geschleudert [bis
zu einer Höhe von 43 km], wo das Schwefeldioxyd
zu Schwefelsäure oxidierte, wobei sich die Gase mit
kleinen Feststoffen [Aerosolen] vermischten. Diese
wurden durch Winde über die ganze Welt verteilt. Die
Aerosole schirmten die Sonne teilweise ab, was in ver
schiedenen Regionen der Welt im folgenden Jahr zu
einer deutlichen Klimaabkühlung führte. Die Wirkung
dauerte bis zu zwei Jahre. In Europa waren Frankreich,
die Schweiz und Südwestdeutschland besonders stark
betroffen. Hier kühlte sich die durchschnittliche Som
mertemperatur um bis zu drei Grad Celsius ab.
Ein nasskaltes Jahr - ein «Jahr ohne Sommer»
Doch der Vulkanausbruch war nicht der einzige Grund
für das «Jahr ohne Sommer», wie das Jahr 1816 oft ge
nannt wird. Die ungewohnt niedrigen Temperaturen
allein hätten wohl noch nicht zu diesen Missernten
geführt: Es gab im Laufe des 19. Jahrhunderts auch
andere kalte Jahre, die aber nicht die gleichen Folgen
zeigten. Was sich 1816 verheerend auswirkte, war das
Zusammentreffen von tiefen Temperaturen und häu
figen Niederschlägen. 1817 führten die starken Nie
derschläge zu schweren Rheinüberschwemmungen in
Ruggell und Gamprin, wo sie einen grossen Teil der
neuen Ernte vernichteten.
Missernten führen zu Mangelernährung und
Hunger
Der nasse und kühle Sommer sowie Schädlinge führ
ten 1816 zu schweren Missernten. Der damalige
Landvogt Josef Schuppler schätzte die Ausfälle auf
zwei Drittel der üblichen Erträge. Im süddeutschen
Raum [von wo sonst viel Getreide exportiert werden
konnte], in Vorarlberg und in der Schweizer Nachbar
schaft reagierten die Obrigkeiten überall mit Ausfuhr
sperren für Lebensmittel: Da man zu wenig erntete,
um die eigene Bevölkerung ernähren zu können, ver
bot man überall die Lebensmittelausfuhr. Dies führte
zu einer massiven Verteuerung, die als Hauptproblem
empfunden wurde. Viele Leute, allen voran die Lohn
abhängigen, die keine eigene Landwirtschaft hatten,
mussten sich immens verschulden. Die Folgen waren
Hunger und Mangelernährung. In ihrer Not assen die
armen Leute auch Türkenkolben, «Grüsche» [Kleie],
Brennnesseln und Gras. Auswege aus dieser Not gab
es kaum: Eine definitive Auswanderung war bis 1848
durch die Obrigkeit verboten und wurde nur gegen
die Entrichtung einer Vermögensabgabe gestattet - ein
Verbot, das erstaunlich gut eingehalten wurde. In der
Regel wanderten nur geistliche Personen und heirats
willige Leute aus. Die Zahl derjenigen, die als Saison-
niers vorübergehend ins Ausland gingen, nahm in der
Hungerkrise stark zu. Doch auch in Süddeutschland
war die Not gross und so nahm man diese saisonalen
Auswanderer nicht mehr mit offenen Armen auf. Oft
sah man in ihnen Bettler und Vaganten. Tatsächlich
versuchten solche Leute oft, sich mit Betteln und allerlei
Tricks durchzumogeln. Manche sahen sich auch mehr
oder weniger gezwungen, sich durch Diebstahl das
Lebensnotwendige anzueignen. Die Kleinkriminalität
nahm deutlich zu.
Obrigkeit, Gemeinden und Kirche sehen sich
nicht in der Verantwortung
Was taten die weltliche Obrigkeit, die Gemeinden und
die Kirche gegen die Not? Der Landvogt in Vaduz re
agierte vor allem mit Zwangsmitteln: So erliess er das
bereits erwähnte Lebensmittelausfuhrverbot. Gegen
das Bettlerunwesen ordnete er sogenannte Bettlerstrei
fen an, das heisst die Gemeinden sollten streng darauf
achten, dass keine fremden Bettler ins Land kamen,
diese bei sogenannten «Streifen» abfangen und wieder
über die Grenze stellen. Diebe wurden - zu Anzeigen
kam es praktisch nur, wenn sie bei der Tat beobachtet
wurden - mit Kerker und Prügel bestraft. Der Land
vogt versuchte auch, die Ausfuhrverbote der Nachbar
staaten zu lockern, war damit aber bis im Sommer
1817, als sich in den Nachbarstaaten eine gute Ernte
abzeichnete, nicht sehr erfolgreich. Immerhin erreichte
er einige Zugeständnisse bei Saatkartoffeln.
Die Kirche fühlte sich für das Wohl der Untertanen
im Diesseits nicht verantwortlich. Sie lehrte, dass die
Not eine Strafe Gottes sei und sich die Leute das gött
liche Wohlwollen durch Busse und fleissiges Beten, vor
allem aber durch Kirchgang an Sonn- und Feiertagen
wieder sichern konnten.