Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2017) (2017)

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Hiroshima abgeworfen wurde. In Indonesien kamen 
schätzungsweise lOO’OOO Menschen [direkt und indi 
rekt] ums Leben. Durch die Eruption wurde heisses 
Schwefeldioxyd in die Stratosphäre geschleudert [bis 
zu einer Höhe von 43 km], wo das Schwefeldioxyd 
zu Schwefelsäure oxidierte, wobei sich die Gase mit 
kleinen Feststoffen [Aerosolen] vermischten. Diese 
wurden durch Winde über die ganze Welt verteilt. Die 
Aerosole schirmten die Sonne teilweise ab, was in ver 
schiedenen Regionen der Welt im folgenden Jahr zu 
einer deutlichen Klimaabkühlung führte. Die Wirkung 
dauerte bis zu zwei Jahre. In Europa waren Frankreich, 
die Schweiz und Südwestdeutschland besonders stark 
betroffen. Hier kühlte sich die durchschnittliche Som 
mertemperatur um bis zu drei Grad Celsius ab. 
Ein nasskaltes Jahr - ein «Jahr ohne Sommer» 
Doch der Vulkanausbruch war nicht der einzige Grund 
für das «Jahr ohne Sommer», wie das Jahr 1816 oft ge 
nannt wird. Die ungewohnt niedrigen Temperaturen 
allein hätten wohl noch nicht zu diesen Missernten 
geführt: Es gab im Laufe des 19. Jahrhunderts auch 
andere kalte Jahre, die aber nicht die gleichen Folgen 
zeigten. Was sich 1816 verheerend auswirkte, war das 
Zusammentreffen von tiefen Temperaturen und häu 
figen Niederschlägen. 1817 führten die starken Nie 
derschläge zu schweren Rheinüberschwemmungen in 
Ruggell und Gamprin, wo sie einen grossen Teil der 
neuen Ernte vernichteten. 
Missernten führen zu Mangelernährung und 
Hunger 
Der nasse und kühle Sommer sowie Schädlinge führ 
ten 1816 zu schweren Missernten. Der damalige 
Landvogt Josef Schuppler schätzte die Ausfälle auf 
zwei Drittel der üblichen Erträge. Im süddeutschen 
Raum [von wo sonst viel Getreide exportiert werden 
konnte], in Vorarlberg und in der Schweizer Nachbar 
schaft reagierten die Obrigkeiten überall mit Ausfuhr 
sperren für Lebensmittel: Da man zu wenig erntete, 
um die eigene Bevölkerung ernähren zu können, ver 
bot man überall die Lebensmittelausfuhr. Dies führte 
zu einer massiven Verteuerung, die als Hauptproblem 
empfunden wurde. Viele Leute, allen voran die Lohn 
abhängigen, die keine eigene Landwirtschaft hatten, 
mussten sich immens verschulden. Die Folgen waren 
Hunger und Mangelernährung. In ihrer Not assen die 
armen Leute auch Türkenkolben, «Grüsche» [Kleie], 
Brennnesseln und Gras. Auswege aus dieser Not gab 
es kaum: Eine definitive Auswanderung war bis 1848 
durch die Obrigkeit verboten und wurde nur gegen 
die Entrichtung einer Vermögensabgabe gestattet - ein 
Verbot, das erstaunlich gut eingehalten wurde. In der 
Regel wanderten nur geistliche Personen und heirats 
willige Leute aus. Die Zahl derjenigen, die als Saison- 
niers vorübergehend ins Ausland gingen, nahm in der 
Hungerkrise stark zu. Doch auch in Süddeutschland 
war die Not gross und so nahm man diese saisonalen 
Auswanderer nicht mehr mit offenen Armen auf. Oft 
sah man in ihnen Bettler und Vaganten. Tatsächlich 
versuchten solche Leute oft, sich mit Betteln und allerlei 
Tricks durchzumogeln. Manche sahen sich auch mehr 
oder weniger gezwungen, sich durch Diebstahl das 
Lebensnotwendige anzueignen. Die Kleinkriminalität 
nahm deutlich zu. 
Obrigkeit, Gemeinden und Kirche sehen sich 
nicht in der Verantwortung 
Was taten die weltliche Obrigkeit, die Gemeinden und 
die Kirche gegen die Not? Der Landvogt in Vaduz re 
agierte vor allem mit Zwangsmitteln: So erliess er das 
bereits erwähnte Lebensmittelausfuhrverbot. Gegen 
das Bettlerunwesen ordnete er sogenannte Bettlerstrei 
fen an, das heisst die Gemeinden sollten streng darauf 
achten, dass keine fremden Bettler ins Land kamen, 
diese bei sogenannten «Streifen» abfangen und wieder 
über die Grenze stellen. Diebe wurden - zu Anzeigen 
kam es praktisch nur, wenn sie bei der Tat beobachtet 
wurden - mit Kerker und Prügel bestraft. Der Land 
vogt versuchte auch, die Ausfuhrverbote der Nachbar 
staaten zu lockern, war damit aber bis im Sommer 
1817, als sich in den Nachbarstaaten eine gute Ernte 
abzeichnete, nicht sehr erfolgreich. Immerhin erreichte 
er einige Zugeständnisse bei Saatkartoffeln. 
Die Kirche fühlte sich für das Wohl der Untertanen 
im Diesseits nicht verantwortlich. Sie lehrte, dass die 
Not eine Strafe Gottes sei und sich die Leute das gött 
liche Wohlwollen durch Busse und fleissiges Beten, vor 
allem aber durch Kirchgang an Sonn- und Feiertagen 
wieder sichern konnten.
	        

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