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Paul Vogt
Kaum jemand, der nicht einmal von Typhus ergriffen war
Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen an Typhus
abdominalis wird heute weltweit auf 22 Millionen ge
schätzt, davon enden weniger als ein Prozent tödlich.
In Mitteleuropa kommt Typhus kaum mehr vor, die
meisten Patienten holen sich die Krankheit bei einer
Reise in ein Land mit schlechten hygienischen Bedin
gungen. Mit Antibiotika lässt sich die Krankheit gut
behandeln. Vor 125 Jahren war das ganz anders: Die
hygienischen Verhältnisse in Balzers glichen jenen in
Risikogebieten in Entwicklungsländern. Balzers und
Mäls galten als zwei Orte, in denen Typhus vergleichs
weise häufig vorkam. Die Krankheit wurde nicht von
auswärts eingeschleppt, sondern hatte ihre Ursachen in
den sanitären Verhältnissen an Ort. Sie verlief manch
mal, aber längst nicht immer tödlich.
Der Forschungsstand
Anfängen möchte ich mit einem Kompliment an den
früheren Gemeindevorsteher, Lokalhistoriker und
Sammler Emanuel Vogt. Mit seinem dreibändigen
Lebenswerk «Mier z Balzers» hat er eine umfassende
Ortsgeschichte geschrieben, die auf lange Zeit Be
stand haben wird. Im ersten Band «Lebensraum» gibt
es auch ein Kapitel «Typhus in Balzers». 1 Dort gibt
«Mane» Vogt bereits eine Übersicht zum Thema. Er
schreibt, dass in den 1880er-Jahren zwar bekannt war,
dass verschmutztes Wasser das Hauptproblem war,
dass sich die Gemeinde aber aus finanziellen Gründen
zunächst gegen den Bau von Wasserleitungen sträub
te. Erst durch eine Spende des Fürsten Johann II. in
der Höhe von lO’OOO Gulden konnte die Gemeinde
1894 zum Bau einer Wasserleitung im Ortsteil Balzers
bewegt werden. 1902 stellte der Fürst auch ein unver
zinsliches Darlehen für den Bau einer Wasserleitung in
Mäls zur Verfügung. Ohne diese Darlehen hätte sich
die Gemeinde nicht im Stand gesehen, die finanziellen
Mittel für die notwendige Sanierung aufzubringen.
Was wusste die Medizin über den Typhus?
Typhus war bereits im Altertum verbreitet, doch war
über die Ursachen und die Behandlungsmöglichkeiten
wenig bekannt. Noch in «Pierer’s Universal-Lexikon»
von 1857 wurde die Hauptursache fälschlicherweise
in der schlechten Luft gesehen:
«Der Ausbruch einer [Typhus-]Epidemie wird durch
Zusammenhäufung vieler Menschen auf einem kleinen
Raume und die dadurch bedingte Luftverderbniß be
günstigt, ferner durch schlechtes mit faulenden Stoffen
verunreinigtes Trinkwasser, kärgliche schlechte Nah
rung, feuchte Luft.»
Seite 44: Di: Albert Schädler schrieb am 11. November 1892 an
die Regierung, dass in den letzten vier Wochen zwölf Kinder und
vier Jugendliche wegen Typhus bei ihm in Behandlung waren.