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Graubünden, von wo aus sie eingereist war. Gehringer
war indes aus dem Kanton Schwyz gebürtig, seine Frau
aus dem solothurnischen St. Pantaleon. 51
Zuweisung von heimatlosen Menschen an eine
Gemeinde
Der junge Schweizerische Bundesstaat erliess im Jahr
1850 ein Gesetz, welches den Status der Heimatlosig
keit abschaffte. Nicht-sesshafte Händler und Handwer
ker durften nur noch «mit Ausweisschriften» unterwegs
sein, berufslos Herumziehende waren mit «Verhaft oder
Zwangsarbeit» zu bestrafen. 52 Geschätzt wird, dass bis
1872 rund 25’000 bis 30’000 bisher heimatlose Perso
nen einem Kanton und einer Gemeinde als Bürgerinnen
und Bürger zugewiesen wurden. 53
14 Jahre nach Verabschiedung des Heimatlosengesetzes
in der Schweiz erliess Liechtenstein im Gemeindegesetz
von 1864 analoge Bestimmungen. Auch in Liechten
stein wurden Personen, deren Heimatrecht nicht ein
deutig ermittelt werden konnte, nun einer Gemeinde
zugewiesen. 54 Das Gesetz sah zudem vor, den Hinter-
sassen-Status abzuschaffen. Die ehemaligen Heimatlo
sen und Hintersassen erhielten aber nicht automatisch
die Nutzungsrechte in ihrer neuen Bürgergemeinde.
Diese Rechte wurde diesen Personen erst zuteil, wenn
sie die von der Gemeinde geforderten Einkaufstaxen
bezahlt hatten. 55
Beengte Wohnverhältnisse in Balzers
Über Einbürgerungen in einer Gemeinde entschied die
Gemeindeversammlung. Gemeindebürger, die einen
eigenen Haushalt führten und in der Praxis auch Haus
besitzer waren, hatten das Stimmrecht. In der Folge
waren lediglich die Haushaltsvorstände stimmberech
tigt. 56 Balzers hatte im Jahr 1841 genau 998 Einwoh
nerinnen und Einwohner, die in 130 Wohnhäusern
lebten. Es waren durchschnittlich 7,68 Personen pro
Wohnhaus. Im Vergleich zu den anderen Gemeinden
des Landes hatte Balzers damals die höchste Personen
zahl pro Haus und damit anteilmässig die niedrigste
Zahl an politisch Wahlberechtigten. 57
Die Wohnverhältnisse in Balzers waren eng. Bereits 1836
hatte die Gemeindevorstehung den Fürsten um Erlaub
nis zum Bau neuer Häuser angesucht. Das Oberamt un
terstützte dieses Anliegen in einem Brief an den Fürsten:
«Es kommen im Grunde keine neuen Ansiedler - Frem
de oder Nichtbürger - nach Balzers. Die Bauwerber sind
sämtlich Gemeindebürger, die mit ihren recht zahlrei
chen Familien in den Häusern keinen Platz mehr haben,
und sich zu theilen wünschen.» 58 Die IJberbesetzung der
Häuser sei auch eine Folge der Bestimmung, gemäss wel
cher nur Hausbesitzer heiraten dürften. Eltern, die nur
ihr eigenes Haus besitzen, müssten dieses formell an ihr
Kind abtreten, das heiraten wolle. Doch da infolge des
geltenden Hausbauverbots nicht gebaut werden dürfe,
müssten die Eltern das Wohnrecht im Haus behalten.
Aus Platzgründen bliebe ihnen aber nur der Stall als
Wohnung. Infolge dieser beengten Wohnsituation hätte
es - so das Oberamt in seinem Brief an den Fürsten -
schon Streitereien und Prozesse gegeben. 59
Erst mit Aufhebung des Hausbauverbots in Liechten
stein in den frühen 1840er-Jahren kam es zur lange er
sehnten Dorferweiterung in Balzers: Zwischen 1841 und
1852 stieg die Zahl der Wohnhäuser in Balzers von 130
auf 188 und somit auch die Zahl der politisch Berech
tigten. 60 Dieser markante Zuwachs zeigt, dass ein aufge
stautes Platzproblem endlich gelöst werden konnte. Die
lange Zeit beengten Wohnverhältnisse in Balzers und der
grosse Eigenbedarf an zusätzlichem Wohnraum erklären
auch, weshalb Balzers eine besonders restriktive Haltung
bei der Zuwanderung und möglichen Neuaufnahme von
Gemeindebürgern einnahm. De facto gab es - von den
genannten wenigen Theologen und Priestern sowie von
Brauteinkäufen abgesehen - im 19. Jahrhundert keine
Einbürgerungen in Balzers.
Auf der Basis des neuen Gemeindegesetzes von 1842 leg
ten die liechtensteinischen Gemeinden 1843 neue Ein
bürgerungstaxen fest. Diese Beträge wurden festgelegt
aufgrund des Gegenwerts des jeweiligen Gemeindenut
zens in den einzelnen Gemeinden. Dabei zeigte es sich,
dass die Oberländer Gemeinden Balzers, Schaan und
Triesen die höchsten Einbürgerungsgelder verlangten:
Ein Ausländer, der Balzner Bürger werden wollte, musste
2’030 Gulden bezahlen; die entsprechenden Taxen für
Schaan und Triesen beliefen sich auf 930 beziehungswei
se 650 Gulden. Deutlich tiefer lagen die Brauteinkaufs
taxen. Sie betrugen in Balzers zwischen 80 und 120
Gulden, lagen in den anderen Gemeinden aber zum Teil
deutlich tiefer. 61 Unterschiedliche Brauteinkaufstaxen in
derselben Gemeinde sind damit begründet, dass für eine
Frau aus einer anderen liechtensteinischen Gemeinde
weniger zu bezahlen war als für eine Ausländerin.