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Eine besondere Herausforderung stellte der Übergang
vom Volkstheater zu den Singspielen bis hin zu den
ersten Operetten ab 1946 dar, in denen sie teils als
Darsteller mitwirkten. Unvergessen sind die Rollen
von Ludwig als «Sigismund» und Leo als «Giesecke»
[Berliner] 1949 «Im weissen Rössl». Unter der sehr
strengen Regie von Lrau Minna Senges-Laust vom
Stadttheater Chur [siehe Lestschrift «50 Jahre Ope
rette Balzers»] wurde den Laienschauspielern einiges
abverlangt; daraus resultierten aber auch entsprechend
grosse Erfolge und Anerkennung.
Aufführungsort war das alte Gemeindehaus, das heu
tige Probelokal der Harmoniemusik Balzers. Wie mit
Erfindergeist und Engagement optische und akustische
Effekte erzeugt wurden, illustrieren folgende Beispiele:
Als für eine Szene Windgeräusche imitiert werden
mussten, fertigten Ludwig und Julius eine drehbare
Holztrommel - ähnlich einem Butterfass - an. Mit
der linken Hand musste man ein Leintuch über die
Trommel spannen, mit der rechten Hand wurde ge
kurbelt. Diese einfache Windmaschine entwickelte je
nach Drehgeschwindigkeit sehr naturnahe Geräusche.
Donner wurde durch Schütteln einer mit Draht auf
gehängten Blechtafel [1 x 1000 x 2000 mm] erzeugt
und Feuer mit einem Luftblasebalg, gelben und roten
Papierstreifen in einem losen Holzhaufen sowie mit
elektrischem oder bengalischem Licht.
In bester Erinnerung ist mir auch noch die Hebebühne,
welche die Brüder Wolhnger mit primitiven Mitteln
wie Hanfseil, Holzrollen und Drehkurbel bastelten.
Diese wurde von Hand betätigt. Bei der ersten Auffüh
rung des Stücks «Das Zauberschloss» im Jahr 1944 mit
Simon Frömmelt als schwebendem Schlossgeist und
Berta Wolhnger [verheiratete Bürzle] als schweben
der Fee soll die Hebebühne fürchterlich gequietscht
haben. Dieses Übel wurde energisch mit reichlich
«Wagaschmörbe» [tierisches Fett] bekämpft, wovon
mangels Platz auf und hinter der Bühne leider auch
die schönen Theaterkostüme etwas abbekamen.
Ihr technisches Meisterstück war die dimmbare Be
leuchtung auf der kleinen Bühne des Gemeindesaals,
die jedoch aus heutiger Sicht mit einem unvorstellba
ren Gefahrenpotenzial verbunden war. Diese bestand
aus einer Rampenbeleuchtung vorne am Boden mit
rund vierzig 60-Watt-Lichtbirnen und aus drei Licht
gassen oben mit je circa vierzig verschiedenfarbigen
60-Watt-Birnen. Die Drahtverbindungen führten alle
zur «Schaltzentrale». In einem Holzgestell waren vier
braune zylindrische Steingutbehälter mit jeweils fünf
zehn bis zwanzig Litern Salzsäure in Reih und Glied auf
gestellt. Von oben herab wurde je ein Paar, nach unten
spitz zugeschnittene Kupferbleche von circa 1 mm Dicke
mittels einer Drahtkurbel an einer Schnur langsam in
die Säure getaucht. Das Gefährliche dabei war, dass
die Kupferbleche permanent unter mindestens 2,5 kW
Strom standen, das heisst, beim Eintauchen in das
Säurebad begann bei einem gewissen Widerstand
Strom von einer Kupferplatte zur anderen zu fliessen.
Dauerte eine solche Dämmerstimmung mehrere Mi
nuten, wurden die Säurebehälter empfindlich heiss.
Hier gilt es zu bedenken, dass die ganze Konstruktion
ohne Schutzvorrichtung, Abdeckung oder dergleichen
auskam. Zum Glückfunktionierte sie j edoch über meh
rere Jahre unfallfrei. So entstanden manch dramati
sche, aber auch sehr romantische Lichteffekte. Unüber
troffen sind die Liebesszenen in der Abenddämmerung.
Durfte man als Bub ausnahmsweise einmal bei den
Proben hinter den Kulissen dem Beleuchter zuschauen,
hiess es gleich am Anfang laut und bestimmt: «Buab
due mer jo nia do drii langal» Übrigens, die beiden
letzten Beleuchter, die diese hochgefährliche «Schalt
zentrale» noch bedienten, waren Franz Wolhnger und
Kaspar Loser.
Wenn die Kurbeln nicht gleichmässig gedreht wurden,
war dies gerade in einer dramatischen Szene peinlich,
denn das Licht wurde ruckartig heller oder dunkler.
Andererseits bleibt solch unfreiwilliger Humor oft län
ger im Gedächtnis des Publikums haften als die erns
ten Szenen.
Auch wenn diese originellen «wolhngerschen Entwick
lungen», von denen es noch mehr zu berichten gäbe,
aus heutiger Sicht ziemlich primitiv erscheinen, so
setzten die Brüder mit viel Energie und Engagement
im wahrsten Sinne des Wortes Träume in Taten und
Taten in Bewegungen um. Ein humorvoller Spruch
des Originals Jule, wie wir Julius nannten, den man
im fortgeschrittenen Alter oft von ihm hörte, lautete:
«Wänn duppege Gedanka öberhand nöönd, muescht
d Problem äfach sälber id Finger nee.» So manch tech
nisches Problem führte dank diesem «id Finger nee»
immer wieder zu originellen und einzigartigen Lösun
gen. Hut ab!
Diesen drei unvergesslichen Balzner Pionieren Leo,
Julius und Ludwig Wolhnger sei ein Kränzlein inklusive
«Firmenschildchen» gewidmet - natürlich mit eingra
viertem Logo: «Made by Züghüüsler, Balzers».