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fallssämlingen [Kreuzungen zwischen verschiedenen
Sorten, auch Wildapfelarten], die im Wald und auf
Wiesen gefunden wurden.
Alte Quellen und Statistiken belegen, dass Liech
tenstein eine lange obstbauliche Tradition hat und
dadurch auch über ein reiches genetisches Erbe an
verschiedensten Obstsorten verfügt. Der grosse Auf
schwung des Obstbaus kam mit der Industrialisierung
und hielt bis Ende des Zweiten Weltkrieges an. Neben
Tafelobst waren auch Sorten gefragt, die sich zum
Kochen, Dörren, Mosten und Schnapsbrennen eigne
ten. Es gab Regionalsortimente, die den Verhältnissen
einzelner Landschaften [Klima, Boden, Geologie etc]
Rechnung trugen.
Ein radikaler Einschnitt erfolgte während der 1950er-
Jahre. Es wurden mehr Zitrusfrüchte und Bananen
konsumiert, die offizielle Obstbaupolitik setzte auf
den Intensivanbau mit Niederstammplantagen. In der
Schweiz wurden für jeden gefällten Hochstamm
obstbaum Prämien ausbezahlt. Damit einher ging
auch eine gewaltige Beschränkung der Sortenvielfalt:
Auf dem Markt dominierten Cox Orange, Boskop und
Golden Delicious.
Waren damals alte Sorten sowie der damit verbundene
Hochstammanbau nicht mehr zeitgerecht und standen
einer modernen Landbewirtschaftung im Weg, so wer
den alte Sorten mittlerweile als Kulturgut eingestuft
und als Relikte aus der «guten, alten Zeit» geschätzt.
Der Wert hinsichtlich des Naturhaushaltes wird er
kannt. Die heutige Züchtung von Obstsorten ist auf
die Anforderungen des Frischmarktes ausgerichtet.
Diesen Anforderungen können ältere Sorten nicht ge
recht werden. Trotzdem gibt es nach wie vor Anwen
dungsbereiche, wie beispielsweise die Apfelsaftherstel
lung, die auf die säurehaltigen älteren Sorten zwingend
angewiesen sind. Wenn Monokulturen von Erregern
befallen werden, kann ein wesentlich höheres Scha-
densausmass verursacht werden, als dies in einer Misch
pflanzung mit mehreren Sorten der Fall wäre.
Alte Sorten wurden nicht zuletzt aufgrund ihres her
ben Geschmacks, der durch die hohe Anzahl an phe-
nolischen Verbindungen im Fruchtfleisch und in der
Schale bedingt ist, von neuen Sorten verdrängt. Diese
sekundären Pflanzenstoffe dienen unter anderem der
Abwehr von Schädlingen. Sie haben auch eine posi
tive Wirkung auf das menschliche Immunsystem. Alte
Obstsorten und speziell jene zum Mosten haben einen
deutlich erhöhten Anteil an phenolischen Substan
zen. Sie besitzen damit Eigenschaften, die in Zukunft
immer wichtiger werden und daher zu erhalten sind.
Durch die Veränderungen der wirtschaftlichen Situa
tion und des Anbaus hat die einst grosse Vielfalt an
Obstsorten in den letzten Jahrzehnten - wie bereits
ausgeführt - beängstigend abgenommen. Nach wie vor
werden Obstbäume gerodet, was unweigerlich auch zu
einem Verlust der Sortenvielfalt führt. Es ist höchste
Zeit, dass Inventare erstellt, Erhaltungsprogramme
lanciert und diese vor Ort durchgeführt werden.
Wer handelt in Balzers?
In den vergangenen fünf bis zehn Jahren sind in un
serem Land verdankenswerterweise Initiativen zur
Wiederbelebung der Obstbaumkulturen entstanden.
So wurde 2005 der Verein HORTUS gegründet mit
dem Ziel, die alten Kulturpflanzensorten, insbesondere
die alten Obstsorten, im Fürstentum Liechtenstein zu
erhalten.
In Balzers engagieren sich in diesem Bereich vor allem
der Verein Pro Obstbaum, die Bürgergenossenschaft
sowie Walter Brunhart mit seiner Mosterei. Zudem
unterstützt die Gemeinde die jährliche Obstbaum-
Verkaufsaktion des Vereins HORTUS und leistet -
gestaffelt nach Hochstamm, Halbstamm und Nieder
stamm - einen bestimmten Zuschuss.
Der 2009 gegründete Verein Pro Obstbaum hat für
sich nachstehende Ziele definiert:
• Unterstützung sowie Beratung bei der Pflanzung
und beim Unterhalt von Obstbäumen
• Inventarisierung von Obstbäumen
• Förderung, Pflege und Erhalt von Obstbäumen
• Erhalt der «Reihenstruktur» entlang der Wege mit
Schwerpunkt im Landwirtschaftsgebiet
• Förderung der Obstverwertung [Mosten, Dörren,
Destillieren usw.]
• Erhaltung und Nutzung regionaler und alter Sorten
• Weiterbildung von interessierten Personen.
Die Bürgergenossenschaft verfolgt ähnlich gelagerte
Ziele und hat zu deren Umsetzung eine eigene Obst
baumkommission bestellt. Diese führt jeweils im
Herbst für die Mitglieder einen Frontag durch, welcher
der Pflege der Obstbäume auf den Genossenschafts
parzellen sowie Neuanpflanzungen gewidmet ist. Das
geerntete Obst - Kirschen, Äpfel und Birnen - wird zu
Most oder Schnaps verarbeitet.