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handen war, dieses von den Eigentümern
aber nicht überbaut wurde. Damit wiesen
wir praktisch keine Bautätigkeit auf. Die
Gemeinde wünschte jedoch ein Wachstum
und definierte dafür im Leitbild eine Ziel
setzung von einem bis zwei Prozent pro
Jahr. Aus rechtlichen Gründen konnte
man allerdings niemanden zwingen, sein
Grundstück zu überbauen.
Mit der Ortsplanung wurden zwei Fliegen
auf einen Streich geschlagen: Einerseits
konnte Fläsch sicherstellen, dass die beste
henden Freiflächen im Dorfkern nicht be
baut werden, und andererseits wurde durch
entsprechenden Realersatz am Dorfrand
Bauland im Privateigentum geschaffen,
welches auch auf den Markt kam. Ins
gesamt wurden etwa 55 Parzellen im Zent
rum mit den Eigentümern abgetauscht.
Wir haben zwei Bauzonen geschaffen: eine
für «baureifes Land» und eine für «zu erwar
tendes Bauland». Das erlaubt eine etappen
weise Erschliessung. Für die Eigentümer in
der ersten Zone besteht eine Bebauungs
pflicht innerhalb von zehn Jahren. Im spe
ziellen Fall von Fläsch findet also die Ver
dichtung am Rande des Dorfes statt und
nicht wie allgemein üblich im Kern.
Hans Brunhart: Im Ortsplanungsbereich
gibt es viele Konzepte und Leitbilder. Was
hat Fläsch anders gemacht und was war die
Voraussetzung, dass der grosse Wurf gelun
gen ist?
Heinz-Urs Kunz: Ich denke, dass drei wesent
liche Faktoren ausschlaggebend waren. Ers
tens haben wir mit Studenten der HTW Chur
am Anfang eine gründliche Auslegeordnung
gemacht. An diesem Forschungsprojekt
haben sich 120 Studenten beteiligt. Wir sind
die Ortsplanung von der Architektur her
angegangen und nicht von der Raumpla
nung, wie das der Normalfall ist. Der archi
tektonische Ansatz hat denn auch das ganze
Konzept dominiert. Natürlich wurde ein
Raumplaner beigezogen, aber eher für die
formellen Abläufe. Ich halte diesen Ansatz
der Planung für sehr massgebend. Zweitens
kam uns zugute, dass Professor Wagner sich
schon über viele Jahre mit Stadt- und
Dorfentwicklung befasste, und zwar - wie
erwähnt - aus architektonischer Sicht.
Davon konnten wir stark profitieren. Er
brachte gute Ideen ein, zeigte Lösungsmög-
lichkeiten auf und hatte auch sofort das Auge
für Fläsch. Der dritte wichtige Punkt war die
Tatsache, dass die politische Gemeinde Bo
den besass; ohne diesen wäre das Projekt
nicht realisierbar gewesen. Dazu kam, dass
die damaligen Mitglieder des Gemeinderates
die Ortsplanrevision engagiert vorangetrie
ben haben und im Dorf gut vernetzt waren.
Sie haben einen wesentlichen Beitrag geleis
tet, dass die Gemeindeabstimmung so posi
tiv ausgefallen ist.
Ein kompakter his
torischer Dorfkem,
sinnvoll ergänzt
durch Um- und Neu
bauten sowie durch
die neuen Wohn
gebiete am Ortsrand.
Hans Brunhart: Welche Rolle spielt ein sol
ches Projekt im Hinblick auf die Identität
der Bevölkerung? Es bringt ja auch einen
gewissen Zuzug. Wie definiert sich die Iden
tität von Fläsch? Was macht ein Dorf aus?
Heinz-Urs Kunz: Das Leitbild 2004 wurde -
und das halte ich für grundlegend - zusam
men mit den Einwohnerinnen und Einwoh
nern unserer Gemeinde erstellt. Während
des gesamten Projektverlaufs wurde trans
parent informiert, um eine Meinungsbil
dung zu ermöglichen. Dies war besonders
am Anfang wichtig, als es galt, den Sinn des
Leitbildes zu kommunizieren. Der Gemein
derat hat schliesslich in einem zweitägigen
Workshop mit zwanzig bis dreissig Frei
willigen die einzelnen Themen aufgear
beitet. Damit war die Grundlage für das