Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2010) (2010)

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Offensichtlich fühlte ich mich durch die 
Begleitung des Mädchens doch geschmei 
chelt, da ich sofort ihr Fahrrad auf den 
Wagen lud und im nahen Forst einen geeig 
neten Prügel schlug, mit welchem mein 
Velo zusätzlich gebremst werden konnte. 
Nach sachgerechter Montage dieses Prü 
gels an mein Velo fuhr ich mit Ottilia los 
und brachte sie heil nach Sargans. 
Zuhause wurde sie bei uns verköstigt, wo 
nach ihr mein Vater ein Fahrrad und einen 
Korb mit Obst und Pfirsichen aus unserem 
Garten mitgab. 
Es war das erste Mal, dass ich mit einem 
Mädchen nach Flause kam, und ich wurde 
daher von meinen älteren Schwestern auch 
entsprechend geneckt, bis mein Bad bereit 
gestellt war, worin ich mich wie noch nie 
richtig wohl fühlte. 
Mein Vater wollte dann bald wissen, wie die 
Lage und der Arbeitsvorgang auf der Alp 
Tüls seien, da er die zweite Woche noch mit 
vier weiteren Leuten auf Tüls arbeiten wollte. 
Er war sichtlich zufrieden mit den Leistun 
gen der ersten Arbeitswoche, umso mehr 
ich ihm meine Tätigkeit als Hilfsmineur 
schilderte. Seine Meinung über den «Stra 
tegen» Tonetti war bereits gebildet, da er 
diesen seit Jahren kannte. Sie endete mit 
dem Hinweis, dass dieser Mann nur dann 
rentiere, wenn für ihn eine eigene Arbeit 
zur Verfügung stehe, da er nur mit wenigen 
Leuten arbeiten könne. 
Ich machte mir später Gedanken über die 
sen Mann als Mensch. Ein Mensch, der die 
doppelte manuelle, messbare Arbeit von 
zwei anderen leisten konnte, musste ein 
besonderer Mensch sein oder mindestens 
irgendwie anders sein, wovon ich vielleicht 
nichts verstand. Es schien mir aber eine 
Aufgabe zu sein, diesem Menschen das nö 
tige Verständnis entgegenzubringen... Diese 
Gelegenheit erinnerte mich an einen ein 
mal gelesenen Spruch: Bevor man einen 
anderen Menschen verdammt, danke man 
dem Himmel, der uns, mit unserem ehrli 
chen Gesicht, nicht an den Anfang so tragi 
scher Umstände gestellt hat. 
Ich verbrachte in diesem Sinn mein Wo 
chenende, glücklich darüber, wieder viel 
Neues erlebt zu haben, und mit der Überzeu 
gung, den alten Tonetti auf der Alp zumin 
dest teilweise glücklich gemacht zu haben. 
Alp Tüls - Zweite Arbeitswoche - 
Herbst 1927 
Die Herstellung von Grubenkalk musste auf 
der Alp Tüls im Herbst 1927 mit damals 
sehr primitiven Mitteln geschehen. Dieser 
Kalk wurde dann im Sommer 1928 verar 
beitet. Es wurde das Mauerwerk des Scher 
men neu gebaut. Der Neubau der Senn 
hütte auf derselben Alp erfolgte erst 1938 
durch unsere Firma. 
Während es bei einer Veranstaltung üblich 
ist, den gemütlichen Teil erst nach dem 
Konzert abzuhalten, erfolgte die eigentliche 
«Aufführung» auf der Alp Tüls erst in der 
zweiten Woche, während die erste Woche 
eher mit dem gemütlichen Teil verglichen 
werden konnte. 
Am Sonntagvormittag kam die Frau unse 
res Arbeiters Tonetti zu Fuss von Balzers 
nach Sargans, eine zierliche, angeschlagene 
Frau von ca. 50 Jahren, um Vorschuss zu 
holen. Da ihre Kinder während der Woche 
bei Bauern verdingt waren, wollte sie diese 
am Sonntag bei sich zuhause haben. Somit 
brauchte sie Geld, um Esswaren zu kau 
fen... Während sie ihren Mann nach allen 
Kanten rühmte, der erst durch den Ersten 
Weltkrieg und den Militärdienst ruiniert 
worden sei, erwähnte sie, sie müsse ihr 
Geld für die Familie stets bei seinen Arbeit 
gebern holen. So hat diese Frau den Fuss- 
marsch von Balzers nach Sargans und zu 
rück auf sich genommen, um 10 Franken 
zu holen, welche ihr mein Vater sofort gab. 
Sonntagnachmittags fuhr mein Vater mit 
vier seiner Leute auf unserem Bergwägeli, 
gezogen von unserem Pferd, in Richtung 
Alp Tüls, um noch vor abends auf der Alp 
einzutreffen... Erst nach viel Tamtam ge 
lang es meinem Vater, seine Gruppe, inklu 
sive Tonetti, noch am selben Abend heil auf 
die Alp zu bringen, während der Fuhrmann 
die Aufgabe hatte, mit Ross und Wagen 
wieder nach Sargans zu fahren, wo dieser 
gegen Mitternacht ... eintraf. 
Meine Aufgabe bestand darin, an diesem 
Montagmorgen zuhause auf den Kalkbren 
ner der Kalkfabrik Netstal zu warten und 
ihn dann auf die Alp zu begleiten. Schon 
vor 7 Uhr kam ein Motorrad Marke Indian 
bei uns an. Während dem Fahrer in unserer
	        

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