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raum noch vier Stück frische Wolldecken
anbot, drückte sie mir ein Schmützli auf
den Mund, dass mir beinahe der Schnauf
ausging.
Das Nachtessen hatte indessen David be
reits zubereitet. Es bestand aus Suppe,
Polentabrei und Büchsenfleisch, was uns
allen sehr schmeckte. Tonetti begab sich so
fort nach dem Essen auf sein Lager im
Stall, während seine Tochter noch unser
Nachtlager inspizieren wollte. Ich begab
mich früh aufs Heu, da meine Hände von
der Schleglerei mit dem Bohren von
Löchern schmerzten, während David, Hein
rich und Ottilia vor der Hütte noch sehr
schöne Lieder sangen, welche die beiden
Burschen in ihrem Männergesangsverein
Balzers gelernt hatten. Heinrich sang den
ersten, David den zweiten Tenor, während
das Mädchen mit einer sonoren Sopran
stimme mitsang, wie ich es in solcher Weise
noch nie gehört hatte. Nach diesem ereig
nisreichen Tag schlief ich sofort auf mei
nem mir bereits geliebten Heulager ein. Ich
erwachte nur kurz nochmals, als Ottilia
sich ganz nahe an mich drückte, um sich zu
wärmen.
Als ich am Lreitag erwachte, schlief das
Mädchen auf dem Lager ihres Vaters, von
welchem ich diesen Morgen nichts hörte.
[Im Verlauf des Morgens stellte sich dann
heraus, dass der alte Tonetti die Dosis der
Medizin, die ihm seine Tochter auf die Alp
hatte bringen müssen, etwas zu grosszügig
berechnet hatte. Statt dreimal täglich einen
Löffel nach dem Essen, wie die Anweisung
lautete, hatte er den Inhalt von mehr als zwei
Dezilitern in einem Zug zu sich genommen.
Die Lolge: ein Durchfall, der ihm und seiner
Tochter eine ziemlich unruhige Nacht berei
tet hatte. Denn der junge Josef Azzola sah
«den Alten nackt neben dem Brunnen, in
welchem er offenbar gebadet hatte, was ihn
offensichtlich sehr abkühlte. Prisch bekleidet
kam er nachher in die Hütte, wobei er über
seine Medizin fluchte».]
Solange seine Tochter hier war, wollte ich
ihm aber die Gebrauchsanweisung der Me
dizin nicht erklären, da ich ein neues Hallo
zwischen ihm und seiner Tochter befürch
tete. Ich riet ihm, sich noch etwas hinzu-
Zweimal David
Eberle: David jun.,
der Bearbeiter der
Azzola-Tagebücher,
und David sen., des
sen Tätigkeit in den
Tagebüchern be
schrieben wird.
Sie posieren hier
vor der Haustüre
Obergass Nr 58Vz
anno 1948.
legen, was er auch tat... Vater Tonetti und
seine Tochter hatten somit eine schlechte
Nacht hinter sich, da beide bis Mittag ihren
Schlaf nachholten.
Zum Mittagessen waren wir wieder alle bei
sammen, wobei Vater Tonetti seiner Toch
ter die Anweisung gab, meine Aufgabe zu
übernehmen, nachdem sie zuvor seine Klei
der gewaschen hatte. Später gestand mir
das Mädchen, dass sie die ganze Nacht
nicht geschlafen und Angst gehabt habe,
das Lager zu verlassen.
So war ich diesen Preitagnachmittag wie
der Hilfsarbeiter bei Tonetti, da er David
oder Heinrich nicht wollte, weil diese das
Heu nicht auf seiner Bühne hatten. Ich
brachte den Arbeitern Tee, welchen Ottilia
bereitgestellt hatte, und Munition, die der
Fuhrmann heute mit seiner ersten Fuhre
gebracht hatte. Sofort wurden alle Steine
gesprengt, was ca. 60 Schuss erforderte.
Die grossen Steinbrocken waren nun noch
zu verkleinern, während David und