Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2010) (2010)

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dem Schnaps zu versorgen. Am frühen 
Nachmittag ging mein Vater wieder tal 
wärts, wo er diese Woche noch einen Auf 
trag zu Ende führen musste. 
Diesen Abend konnte ich nicht sofort ein- 
schlafen, machte noch Rückblick auf die 
vergangenen drei Tage und stellte dabei 
fest, dass es hier auf der Alp gar nicht so 
übel sei, wonach ich dann bald einschlief. 
Donnerstagmorgen wurde ich von David 
aus dem Schlaf gerüttelt. Es war noch dun 
kel, ich hörte unseren neuen Mitarbeiter 
Tonetti unten im Stall rumoren. David flüs 
terte mir ins Ohr, unserem Kollegen sei der 
Treibstoff ausgegangen und er warte drin 
gend auf mich. Noch in den Unterhosen lief 
ich über die Leiter in den Stall, um ihm sei 
nen Deziliter Checcha, wie er es nannte, zu 
reichen... 
Um sechs Uhr, als auch David und Heinrich 
ihre Arbeit begannen, gesellte ich mich zu 
unserem neuen Mitarbeiter Tonetti. Meine 
Aufgabe bestand darin, mit einem leichten 
Bohrschlegel auf eine Eisenstange zu schla 
gen, die er fachgerecht führte, wobei ich 
stets Angst hatte, ihm auf die Hände zu 
schlagen. Nach 30 cm Lochtiefe durfte ich 
ausruhen. Nachher benutzte er eine ca. 3 m 
lange Bohrstange, mit welcher er das 
Bohrloch auf die nötige Tiefe bohrte. Dabei 
erklärte er mir, wie wichtig es sei, die Bohr 
stange, je nach Art des Gesteins, genau 
richtig zu drehen, was die Bohrleistung 
ganz erheblich beeinflusse. 
Zum Frühstück wünschte er sich schwar 
zen Kaffee mit einem kleinen Gläsli Güggs, 
worin er sein Brot tauchte, bis es schön 
schwarz und weich war. Als Zugabe wollte 
er Alpkäse oder frisch geschnittene Wurst, 
während wir Jungen uns mit Butterbrot 
und Konfitüre bedienten. 
Nach dem Frühstück war es wieder meine 
Aufgabe, dem alten «Strategen» zu helfen. 
Wir machten zusammen eine Anzahl 
Löcher auf ca. 30 cm Tiefe, die er dann auf 
die Fertigtiefe von bis zu 2 Metern alleine 
bohrte. So blieb mir Zeit, das Mittagessen 
bereitzustellen, während er alleine beschäf 
tigt war. Vorher veranlasste er mich aber 
noch, die Lochtiefen von David und Hein 
rich mit der unsrigen zu vergleichen, wobei 
ich feststellte, dass er mehr als die doppelte 
Bohrlochtiefe als die anderen geleistet 
hatte, was ich ihm aber nicht mitteilte. 
Auch am Nachmittag war meine Arbeit mit 
Tonetti wieder wie vorher, wobei ich mehr 
mals versuchte, mit seiner Bohrstange alleine 
zu bohren; dabei erbrachte er während 
einer Viertelstunde mindestens das Zwan 
zigfache meiner Leistung. Trotzdem rühmte 
er mich als Zuschläger, da er offenbar über 
rascht war, dass er noch keinen Schlag auf 
seine Hände gekriegt hatte. Ich war froh, 
als ich am frühen Nachmittag auf die 
Klosteralp konnte, um Milch zu holen, ob 
schon diese Milch beim Aufstieg jeweils 
ziemlich warm wurde vom Schweiss, der 
mir über meinen Rücken lief. 
Beim Aufstieg von der Klosteralp holte ich 
ein Mädchen ein, das bis hier mit unserem 
Fuhrmann gekommen war, dann aber aus 
ruhen wollte. Sie wollte nach Tüls-Ober- 
säss, wo sie ihren Vater suchte, dem sie die 
Medizin brachte. Als ich mich ihr dann vor 
stellte, war sie sichtlich erfreut und gestand 
mir, dass sie eine Tochter des Tonetti mit 
Namen Ottilia sei... Eigentlich hatte ich 
Hemmungen in Begleitung eines Mäd 
chens, die mir als Dame vorkam, trotzdem 
verlangsamte ich meinen Schritt, um mich 
so ihrem Tempo anzupassen. Im Obersäss 
angekommen, kriegte diese Ottilia sofort 
zehn Küsse auf jede Seite von ihrem Vater, 
der nicht aufhören konnte, seine Kinder zu 
rühmen. 
[Inzwischen war es dunkel geworden. 
Trotzdem wollte Ottilia den ihr unbekann 
ten Rückweg antreten. Bei der folgenden 
Auseinandersetzung zeigte sich das heiss- 
blütige Temperament Tonettis, indem die 
ser unter allen Umständen zu verhindern 
versuchte, dass seine Tochter allein den 
gefährlichen Weg ins Tal nahm. Dem 11- 
jährigen Josef Azzola gelang es, den auf 
brausenden Tonetti zu beruhigen, und so 
wurde beschlossen, dass das Mädchen die 
Nacht auf der Alp verbringen sollte.] 
Der alte Kracher schickte sich an, sein 
Lager im Stall zu verbreitern, während 
Ottilia sich bei mir höflich bedankte. Als 
ich ihr dann aus unserer Reserve im Neben
	        

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