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wird für das Kind des Gedichts zu einem
Initialwort. Es hat den Kopf «voll bunt
gemischter Lose» für sein Leben: «keines
noch fällt, und die letzten liegen tiefunten»
in der Schale seines Lebens. Zuweilen zie
hen wir die eigenen Lose in bestimmten
Situationen gleichsam aus unseren Köpfen,
aber unter Einflüssen von aussen. Die Lose
werden nicht über uns gefällt. Die «geneti
sche Information» ist nicht die absolute
Prädestination eines Lebens. Wir entschei
den im Spielraum des Augenblicks und ste
hen unter dem Gesetz von Versuch und
Irrtum (trial and error). Keiner lebt für sich
allein. Nach einem Wort des Griechen
Aristoteles sind wir ein soziales Lebewesen
ein «zoon politikon», jemand unter anderen
und mit anderen in der globalen Polis.
Bei all diesen Gedanken scharrt in der drit
ten Strophe des Gedichts das Pferd unwillig
im Larn. Auch unterwegs zum Gutenberg
sind wir durch hohe Lame gegangen. Den
beiden Enkelinnen sagte ich, was sie selbst
schon sahen. Der Larn ist wie ein Blatt zer
franst, warum sollte er ursprünglich nicht
ein einziges Blatt gewesen sein, das sich
später verzweigt hat? Lür die Wissenschaft
ist der Larn mittlerweile das Gleichnis einer
neuen mathematischen Ligur, des Lraktals,
geworden. So entdeckt man in der Natur
allmählich wissenschaftliche Gleichnisse.
Lraktale sind wie «Wörter der Natur», las
ich neulich. Wo immer die Wissenschaft
morphologisch und nicht nur in Zahlen
denkt, entdeckt sie Gesetze einer fraktalen
Poetik.
Das Flügelross selbst indessen, als Sym
boltier der Poesie, weiss nichts von solchen
Dingen. Es scharrt. Auch der Leser, der sich
eben über fraktale Poetik und dergleichen
den Kopf zerbricht, fängt an zu scharren.
Das Pferd des Paladino ist zum Schicksals
pferd geworden. Es und mit ihm das Ge
dicht kämpfen gegen guernica-ähnliche
Ereignisse der Geschichte an. Dichtung
und Kunst machen seit je ihre Aufstände
gegen die herrschenden Mächte. Umsonst,
wird man sagen. Dennoch: Die Zeit selbst,
ihr missender Lluss lässt auf die Vernich
tung der ungerechten Herrschaften hoffen.
Zumindest ist solche Hoffnung eine Ener
gie, dergleichen allmählich zu vernichten.
Die Skulptur «Cavallo» wird an ihren heutigen Standort auf der Burg
Gutenberg geflogen.