Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2010) (2010)

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wird für das Kind des Gedichts zu einem 
Initialwort. Es hat den Kopf «voll bunt 
gemischter Lose» für sein Leben: «keines 
noch fällt, und die letzten liegen tiefunten» 
in der Schale seines Lebens. Zuweilen zie 
hen wir die eigenen Lose in bestimmten 
Situationen gleichsam aus unseren Köpfen, 
aber unter Einflüssen von aussen. Die Lose 
werden nicht über uns gefällt. Die «geneti 
sche Information» ist nicht die absolute 
Prädestination eines Lebens. Wir entschei 
den im Spielraum des Augenblicks und ste 
hen unter dem Gesetz von Versuch und 
Irrtum (trial and error). Keiner lebt für sich 
allein. Nach einem Wort des Griechen 
Aristoteles sind wir ein soziales Lebewesen 
ein «zoon politikon», jemand unter anderen 
und mit anderen in der globalen Polis. 
Bei all diesen Gedanken scharrt in der drit 
ten Strophe des Gedichts das Pferd unwillig 
im Larn. Auch unterwegs zum Gutenberg 
sind wir durch hohe Lame gegangen. Den 
beiden Enkelinnen sagte ich, was sie selbst 
schon sahen. Der Larn ist wie ein Blatt zer 
franst, warum sollte er ursprünglich nicht 
ein einziges Blatt gewesen sein, das sich 
später verzweigt hat? Lür die Wissenschaft 
ist der Larn mittlerweile das Gleichnis einer 
neuen mathematischen Ligur, des Lraktals, 
geworden. So entdeckt man in der Natur 
allmählich wissenschaftliche Gleichnisse. 
Lraktale sind wie «Wörter der Natur», las 
ich neulich. Wo immer die Wissenschaft 
morphologisch und nicht nur in Zahlen 
denkt, entdeckt sie Gesetze einer fraktalen 
Poetik. 
Das Flügelross selbst indessen, als Sym 
boltier der Poesie, weiss nichts von solchen 
Dingen. Es scharrt. Auch der Leser, der sich 
eben über fraktale Poetik und dergleichen 
den Kopf zerbricht, fängt an zu scharren. 
Das Pferd des Paladino ist zum Schicksals 
pferd geworden. Es und mit ihm das Ge 
dicht kämpfen gegen guernica-ähnliche 
Ereignisse der Geschichte an. Dichtung 
und Kunst machen seit je ihre Aufstände 
gegen die herrschenden Mächte. Umsonst, 
wird man sagen. Dennoch: Die Zeit selbst, 
ihr missender Lluss lässt auf die Vernich 
tung der ungerechten Herrschaften hoffen. 
Zumindest ist solche Hoffnung eine Ener 
gie, dergleichen allmählich zu vernichten. 
Die Skulptur «Cavallo» wird an ihren heutigen Standort auf der Burg 
Gutenberg geflogen.
	        

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