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1 Herbert Meier: Georg
Malin - seine Zeit,
seine Kunst. Rede an
lässlich der Geburts
tagsfeier für Georg
Malin am 8. Februar
2006 am Liechten
stein-Institut in Ben-
dern. Kleine Schrif
ten 41. Schaan 2006.
Herbert Meier: Georg
Mahn. Eine Ausstel
lung zum 80. Geburts
tag - 26. Januar bis
12. März 2006. Kunst
museum Liechten
stein. Vaduz 2006.
«Wie reissend wirkt die Zeit ...»
Gedicht und Nachsatz von Herbert Meier
Dort zwischen den Hügeln
Dort zwischen den Hügeln,
im jungen Farn stand es,
das schwarze Pferd,
im Nu herabgeflogen,
und senkte die Flügel;
auf seiner Kruppe sass das Kind;
strich sanft ihm die Mähne,
träumend von seiner Geburt
Die Blautanne im offenen Fenster
und sommerlich das Frühlicht
in ihrem jungen Wipfel,
und drüben hell
das Glockengeläut der weissen Nonnen,
verbum caro panem verum ...
Da liegt es, kaum geboren, und möchte
erwachen und kann noch nicht,
sein Kopf voll bunt gemischter Lose;
keines noch fällt,
und die letzten liegen tiefunten.
Das Pferd, unwillig scharrt es im Farn,
die Schwermut in seinen Augen.
Wen hat es nicht beflügelt und getragen,
und dann wieder geschleift
unter den Zügeln der Götter?
Und auf stand es gegen
Herrschaften und Gewalten
Stierköpfe, brüllend vor Schmerz,
durchbohrt und blutend ihre Nacken,
Frauen, gejagt, Masken des Schreckens,
Glühlampen foltern gelähmte Zungen,
auf den Feldern gebrochene Flügel,
abgestürzt und zerschellt.
Wie reissend wirkt die Zeit
und jagt die herrschenden Mächte
hinab in den Strom des Vergessens.
Nachsatz
An einem Donnerstag im Juni 1997 kreiste
ein Helikopter in der Frühe über dem Jun
kerriet am Fuss des Schlosshügels im liech
tensteinischen Balzers. Er hob von einem
Tieflader ein 3,80 m grosses Bronzeross des
italienischen Bildhauers Paladino und flog
es in die Vorburg von Gutenberg. Davon hat
mir damals mein Freund Georg Malin 1 , der
Liechtensteiner Bildhauer, erzählt. Als dann
die Plastik in den Burghof herabgeschwebt
sei, habe ein junger Balzner an der Umfrie
dungsmauer gestanden und gesagt, in der
Schule hätten sie gelernt, dass Balzers von
«Palazoles» komme und Herren-Palast
heisse. Der Name Paladino klinge ja fast
wie Palazoles. Nun ist der Name Paladino
tatsächlich verwandt mit Paladin, italie
nisch Palatino, was Herrenpalast, also
Balzers bedeutet. Das sind so Wortzufälle,
als machte sich die Geschichte das Vergnü
gen, uns manchmal mit solchen Sprach-
spielen zu unterhalten.
«Dort zwischen den Hügeln ...» Im Juli
des gleichen Jahres sind meine Frau
Yvonne und ich mit unseren Enkelinnen
Tiziana und Ahne auf den Burghügel von
Gutenberg gewandert, um das Pferd des
Paladino zu sehen. Da stand es nun auf
einem Backsteinsockel, sein Kopf einem
goldenen Vogelkopf ähnlich, und im
Nacken den Kopf eines Kindes. Die beiden
Kinder fürchteten, der Kinderkopf könnte
über die Kruppe herab ins Gras rollen. Ich
konnte sie beruhigen, der Kopf war fest
montiert.
Das Gedicht nun benutzt das eben Erzählte
als poetisches Material. Es überträgt Tatsa
chen in Bilder und Bedeutungen. Das Pferd
wird zum Pegasus, zum Flügelpferd. Der
Kopf des Kindes auf seinem Nacken träumt
von seiner Geburt. Damit öffnet sich das
Fenster eines eben geborenen Lebens. Ich
kannte die Eltern, die pflanzten bei der
Geburt ihres Kindes ein Bäumchen («die
Blautanne»). Es wuchs natürlich mit den
Jahren dem damals Geborenen über den
Kopf. Die näheren Umstände aber, die
Stunde der Geburt wird oh als schicksalbe
stimmend erlebt. Anders gäbe es keine
Horoskope. Das Kind des Gedichts hat bei
seiner Geburt offenbar das Frühgeläute
eines nahen Klosters und den Gesang der
Nonnen gehört. Der Vers «verbum caro
panem verum» - stammt aus der Hymne
«Pange, lingua» des Thomas von Aquin. Sie
spricht vom Fleisch gewordenen Wort (ver
bum caro) als dem wahren Brot (panem
verum). Natürlich ist damit Christus ge
meint, der Mensch gewordene Gott, der in
seinem Wort selbst und in der Eucharistie
real gegenwärtig ist. Das «Verbum Caro»