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den einer Berechnung.
Die älteste Angabe stammt aus dem «Leger
buch» von 1584, einem Verzeichnis der Per
sonen, die steuerpflichtig waren. Dieses
enthält die Namen von 77 steuerpflichtigen
Personen - inklusive Pfarrer, Gemeinde und
Kirche, die ebenfalls unter den Schnitzzah
lern aufgefühlt sind. 10 Wenn man die Zahl
der Schnitzzahler mit den Haushalten
gleichsetzt (was hier ohne weitere Begrün
dung gemacht wird) und diese aufgrund
von Vergleichswerten mit 6,0 (6 Personen
pro Haus) multipliziert, so kommt man auf
eine Einwohnerzahl von ca. 450 Personen. 11
In einem Bericht über eine bischöfliche Vi
sitation im Jahr 1595 heisst es, dass es in
der Pfarrei Balzers 170 Kommunikanten
gebe. 12 Die Kommunikanten wurden meist
in der Osterwoche gezählt, in welcher es für
jeden Katholiken Pflicht war, zur Kommu
nion zu gehen. Das Alter, ab welchem man
die Kommunion empfangen durfte, va
riierte zwischen 12 und 14 Jahren. In rein
katholischen Orten erlaubt die Zahl der
Kommunikanten in der Regel eine relativ
verlässliche Schätzung der Bevölkerungs
entwicklung; leider ist aber für Balzers nur
diese eine Zahl bekannt. Trotzdem soll eine
Schätzung der Bevölkerungszahl versucht
werden: Wenn man von der Annahme aus
geht, dass 75 Prozent der Bevölkerung Kom
munikanten waren, so hätte die Gesamt
bevölkerung 226 Personen betragen. 13
Wenn erst die 15-Jährigen zur Kommunion
zugelassen waren und der Anteil der 1- bis
15-Jährigen an der Gesamtbevölkerung
etwa 38 Prozent ausmachte, so hätte die
Balzner Bevölkerung sich immer noch auf
nur 275 Personen belaufen. 14 Diese Zahlen
sind zu tief, denn sie würden bedingen,
dass sich die Bevölkerung in den folgenden
hundert Jahren mehr als verdoppelt hätte.
Peter Kaiser liefert eine weitere Angabe. Er
schreibt, dass es in Balzers «313 Seelen»
über 15 Jahre und «49 Feuerstätten» gab.
Leider nennt er weder die Quelle noch eine
genaue Jahreszahl. Aufgrund des Zusam
menhangs ist davon auszugehen, dass die
von ihm benutzte Quelle aus der Zeit um
1600 stammt. Die Originalquelle ist leider
nicht mehr zu finden. Kaiser rechnete pro
Feuerstätte mit drei Kindern bis 15 Jahre.
Nach dieser Schätzmethode hatte Balzers
um 1600 eine Einwohnerzahl von 460. 15
Diese Zahl passt auch gut zur Schätzung,
die aufgrund der Angaben im «Legerbuch»
von 1584 vorgenommen wurde. Zu denken
gibt jedoch die extrem hohe Zahl von Per
sonen (nämlich 9,4), die nach dieser Be
rechnung in einem Haus gelebt hätten. Sie
liegt deutlich über allen vergleichbaren
Werten. Die Berechnungsmethode wirft zu
mindest die Frage auf, was denn unter
einer «Feuerstätte» zu verstehen ist.
Es gibt eine dritte, an sich recht naheliegende
Möglichkeit, die Angabe «313 Seelen» über
15 Jahre für eine Schätzung der Ein
wohnerzahl zu nutzen: eine Berechnung
aufgrund des mutmasslichen Altersauf
baus. Betrug die Balzner Bevölkerung, wie
von Peter Kaiser geschätzt, 460 Personen,
so entsprach der Anteil der «bis zu 15-Jäh
rigen» 32 Prozent der Gesamteinwohner
zahl - dies ist eine nicht unwahrscheinliche
Grössenordnung. Auf eine höhere Einwoh
nerzahl kommt man, wenn man von der
Altersstruktur ausgeht, die sich aus den Be
völkerungszählungen der Jahre 1809 und
1815 ergibt: Hier lag der Anteil der «bis zu
15-Jährigen» bei 38 Prozent. Mit diesem
Prozentsatz käme man um 1600 auf eine
Einwohnerzahl von 505. Für diese höhere
Zahl spricht zumindest, dass die Kluft zur
berechneten Bevölkerungszahl von 1728/29
damit kleiner wird. Da im benachbarten
Kanton St. Gallen das Bevölkerungswachs
tum im 17. Jahrhundert auf ein Drittel ge
schätzt wird, ist ein grösseres Wachstum
für Balzers unwahrscheinlich. Aufgrund
der schlechteren Wachstumschancen müsste
es eher (wie in den südlichen Teilen des
Kantons St. Gallen) darunter liegen.
Eine weitere Interpretation dieser Angaben
findet sich bei Otto Seger. Ob er die Quelle
kannte, ist nicht geklärt. Er ging davon aus,
dass die Angabe «313 Seelen» der Gesamtbe
völkerung entsprach. Damit kommen wir
auf eine Zahl von 6,4 Personen pro Haus,
was immer noch sehr viel ist. Diese niedri
gere Einwohnerzahl passt aber schlecht in
das Bild, das man sich von der Gesamtent
wicklung im 17. Jahrhundert machen muss.
An der Huldigung von 1718 nahmen aus
Balzers «101 haushäbliche Männer» teil. 16
11 Vgl. zu dieser Proble
matik Markus Matt
müller: Bevölkerungs
geschichte der
Schweiz. Teil I: Die
frühe Neuzeit
1500-1700, Bd. 2,
Basler Beiträge zur
Geschichtswissenschaft.
Basel 1987, S. 86.
12 Arthur Brunhart:
1150 Jahre Balzers
und Mäls - 650 Jahre
Grafschaft Vaduz.
Balzers 1992, ohne
Seitenangabe.
13 Klein meint, dass in
Vorarlberg ein Zu
schlag von 20 bis 40
Prozent zu machen
sei, um die Gesamtbe
völkerung zu erhalten.
Am wahrscheinlichs
ten seien 25 Prozent.
Kurt Klein: Die Bevöl
kerung Vorarlbergs
vom Beginn des 16. bis
zur Mitte des 18. Jahr
hunderts. In: Montfort
21 (1969), S. 67. - Zu
dieser Berechnung vgl.
Markus Mattmüller:
Bevölkerungsgeschichte
der Schweiz. Teil I:
Die frühe Neuzeit
1500-1700, Bd. 1,
Basler Beiträge zur
Geschichtswissenschaft.
Basel 1987, S. 93.
14 Um 1815 gehörten
38 Prozent der Bevöl
kerung in Liechten
stein der Altersklasse
«1-15 Jahre» an. Aus:
Ospelt, wie Anm. 1,
S. 50. Wenn man den
von Mattmüller vorge
schlagenen Reduk
tionsfaktor von 1,33
nimmt, kommt man
gar nur auf 226 Ein
wohner.
15 Peter Kaiser: Ge
schichte des Fürsten
thums Liechtenstein.
Chur 1847, S. 362.
16 Albert Schaedler:
Huldigungs-Akte bei
dem Übergang der
Herrschaft Schellen
berg und Grafschaft
Vaduz an die Fürsten
von Liechtenstein. In:
JBL 10 (1910), S. 29.