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Welche Entwicklung machte dir Freude
und welche eher Angst?
Vom Fortschritt habe ich das Positive gese
hen. Ich war nie eine «ewig Gestrige» und
habe mich immer am guten Neuen gefreut.
Was mir bleibt, sind die vielen schönen
Erinnerungen.
Es gab sicher auch harte Zeiten?
Ich habe zwei Weltkriege und die entbeh
rungsreichen Zwanziger- und Dreissiger-
jahre erlebt, auch die Geldentwertung. Im
Ersten Weltkrieg hörte ich das Bummera,
das Dröhnen der Geschosse, und im
Zweiten Weltkrieg die Flieger. Es waren
dramatische Zeiten. Hart war zudem, dass
man nicht viel hatte; wir machten aber
immer das Beste daraus.
Was bedeutet für dich die Familie, die
Verwandten, Freunde?
Die Gemeinschaft bedeutet mir viel. Das
Gefühl haben, dazuzugehören, war mir im
mer wichtig. Eine besonders gute Bezie
hung hatten wir zu den Leuten der Balzner
Mühle, es waren die Äägna. D’Möle-Bäse,
sMerätle (Emerita), war die Schwester mei
nes Vaters. Emil Schaedler, mein ältester
Cousin, der Vater des späteren Regierungs
sekretärs gleichen Namens, war mein
«Standgötte», da der richtige Taufpate, dr
Manzele Sepp, im Ausland war. Später ein
mal sollte ich dem Emil Schaedler, als er zu
Besuch kam, einen Kuss geben. Ich war zu
scheu: I trau halt ned, i trau halt ned!
Ich brauche aber auch meine Zeit für mich
alleine, die ich immer schon gerne mit
Lesen ausgefüllt habe. Wichtig ist die rich
tige Mischung von Gesellschaft und dem
Alleinsein.
Wie hast du es nur gemacht, 100 Jahre
alt zu werden?
Alltag nee, wia’s kunnt, und dem Herrgott
für die Jahre und für die Gesundheit dan
ken, es woll. Ich hatte drei Hüftoperatio-
nen; dadurch wurde mein Ischiasnerv zer
stört, was mich beim Gehen behindert.
Ansonsten war ich nie krank. Und Runzla
hane o zwäneg.
Es braucht eine gewisse Gelassenheit, und
man muss das Alleinsein aushalten. Kurz:
Man muss das Leben annehmen, wie es
kommt.
Was magst du besonders gerne?
Ich bin eine zufriedene Person und habe
gerne positive Menschen um mich. A Reisle
macha, tuane scho gärn. Zusammen mit
meinem Mann habe ich viel von der Welt
gesehen. Wir waren mit dem Flugzeug in
Amerika und in vielen Ländern Europas.
Auch die verschiedenen Busreisen habe ich
sehr genossen.
Ich schätze ein feines Essen mit einem Glas
Wein. Auch schöne Musik höre ich gerne,
aber ka klepperegs Züüg. Und natürlich
freut es mich, wenn ich wääch angezogen
und gepflegt bin.
Im Nachhinein betrachtet: Würdest du
vieles wieder gleich machen?
Was wettescht, wänn’d ned anderscht
kascht? Ich würde im Rahmen meiner
Möglichkeiten im Grossen und Ganzen
mein Leben wieder gleich gestalten. Und
ich bin zufrieden damit.
Für was lohnt es sich besonders, sich
einzusetzen?
Mama wünschte, dass ich sie im Alter nicht
alleine lassen würde. Es freute mich dann,
dass Vater und Mutter diese Pflege sehr
schätzten. Ich wurde dafür mit schönen
späteren Jahren, besonders auch zusam
men mit meinem Mann Ferde belohnt.
Was ist aus deiner heutigen Sicht speziell
wichtig im Alter und im Leben?
Es liegt auf der Hand: Jeder Mensch muss
sein Leben annehmen, wie es kommt, das
ist vom Herrgott der Wille. Ein genereller
Rat ist schwierig zu erteilen, da jeder
Mensch sein eigenes Schicksal hat. Es
kommt, wie es kommen muss.
Ich bin dem Herrgott dankbar für mein
Leben und meine Situation.
Was war und ist dein «Leitspruch»?
Dr Härrgott still’s gee und nee, wia’s äär
mänt! Mehr kannst du nicht verlangen; es
kommt sowieso, wie er es will. Darum
musst du es halt annehmen, Gutes und
Schlechtes.