Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2006) (2006)

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fertigem Zustand; Jeder Hauenstiel wurde 
von Hand geschliffen und nachher geölt. 
Jedes Joch unter der Wagenbrücke wurde 
mit dem Zugmesser bearbeitet, jede scharfe 
Kante gerundet. 
Oft fuhr Josef mit seinem Spezialfahrrad 
durch das Dorf, den Gehstock in der rech 
ten Hand. Am Sonntagnachmittag begut 
achtete er meist die bei der Sägerei gela 
gerten Stämme von Eschen, Kirsch- und 
Birnbäumen. Bereits vor dem Sägen be 
stimmte er den Zweck der Bretter und prüf 
te Qualität sowie Verwendungsmöglichkei 
ten des Holzes. 
Josef blieb ledigen Standes. Vielleicht gerade 
deshalb waren Kinder bei ihm immer will 
kommen. In seiner Werkstatt fühlten sie sich 
wohl und spielten mit Holzklötzen sowie 
einfachen Werkzeugen. Auch wenn der 
Lärm zu gross und das Treiben zu bunt wur 
den, blieb Josef stets gelassen und meinte 
lächelnd; «Jätz leg i eu dänn s Rappaoor aa.» 
Bei schlechtem Wetter war seine Werkstatt 
Treffpunkt der Bauern und Fuhrwerken 
Nun hatten sie Zeit, kaputte Rechen und 
«Mähworbe» zum Wagner zu bringen. Sie 
vergassen Zeit und Arbeit, diskutierten und 
politisierten. Auch während der grössten 
Diskussionen hielt Josef bei der Arbeit nicht 
inne. Er lächelte und kaute seinen Tabak. 
Im Dorf war Josef auch als talentierter 
Bastler bekannt. Für ärmere Familien stell 
te er hölzernes Spielzeug her, das in den 
Läden oder Warenhäusern beinahe uner 
schwinglich war. Laster, Puppenwagen und 
Ställe aus Holz sowie kleine Spansägen und 
leichte Scheiterbeile türmten sich während 
der Adventszeit in seiner Werkstatt. Einmal 
habe er am Heiligabend bis halb elf Uhr ge 
arbeitet, um die letzten Geschenke fertig zu 
machen. 
Beim Betrachten eines alten hölzernen Wa 
genrades entdeckt man, aus wie vielen Ein 
zelteilen ein solches besteht: Speichen, 
Radnabe und Lauffläche. Diese wurden 
- ineinander gefügt - dem Schmied ge 
bracht, der die eisernen Reifen um Nabe 
und Lauffläche legte. Innerhalb kurzer Zeit 
wurde das eisenbereifte Holzrad dann vom 
gummibereiften Metallrad verdrängt. Nur 
noch selten musste der Wagner ein Holzrad 
reparieren oder ersetzen. Der Beruf des 
Wagners - des Wagenbauers - wurde zum 
aussterbenden Beruf. 
Josef musste der langjährigen strengen Ar 
beit Tribut zollen. Die neue Zeit kam ihm 
entgegen. Die Arbeitstage wurden kürzer, er 
konnte sein Tagwerk gemütlicher angehen, 
und das Licht brannte abends nicht mehr 
so lange in der Werkstatt. 
Seine Kräfte begannen allmählich nachzu 
lassen. Er war froh, dass er noch neue 
Stiele für Pickel und Schaufeln, Rechen 
und Gabeln fertigen konnte. Die müden 
und «abgewerkten» Hände versagten manch 
mal fast den Dienst. Trotzdem stand Josef 
noch täglich in der Werkstatt, musste sich 
jedoch bei der Arbeit mehr Zeit lassen als 
früher. Schliesslich zwang ihn seine ange 
schlagene Gesundheit, Säge und Zugmesser 
aus der Hand zu legen. 
Während seiner Krankheit besuchte ich ihn 
im Spital Vaduz. Er gab mir mehr, als ich 
ihm geben konnte. Seine innere Zufrieden 
heit und Bescheidenheit waren ein Ge 
schenk. Ich merkte, dass Josef Heimweh 
hatte und sich danach sehnte, möglichst 
bald wieder in sein einfaches Haus Nr. 1 in 
Balzers zurückkehren zu können. Dank sei 
nes grossen Willens schaffte er dies. Als er 
wieder begann, etwas zu arbeiten, brachte 
ich ihm ein kaputtes Beil, bei welchem 
er einen neuen Stiel einsetzen musste. 
«D'Händ wänd nümma», sagte er zu mir. 
Trotzdem erledigte er noch täglich kleinere 
Wagnerarbeiten. 
Mit der Zeit schwanden die Kräfte aber 
zusehends. Josef musste seine geliebte 
Werkstatt für immer verlassen. Werkzeuge 
und Geräte schenkte er der Gemeinde für 
ihre «Sammlung historisch interessanter 
Gegenstände». Sie sind ein Vermächtnis 
eines herzensguten Menschen und ein An 
denken an einen aussterbenden Hand 
werksberuf. Josef starb im 83. Lebensjahr. 
Zum ersten Rosenkranz kamen nur wenige 
Leute. Sein Nachbar, Arthur Brunhart, 
meinte beim Verlassen der Kirche mit sei 
ner tiefen und lauten Bauarbeiterstimme: 
«So wäneg Lüt hät's höt doo kha. Dr Josef 
ischt so än guata Maa kse.»
	        

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