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fertigem Zustand; Jeder Hauenstiel wurde
von Hand geschliffen und nachher geölt.
Jedes Joch unter der Wagenbrücke wurde
mit dem Zugmesser bearbeitet, jede scharfe
Kante gerundet.
Oft fuhr Josef mit seinem Spezialfahrrad
durch das Dorf, den Gehstock in der rech
ten Hand. Am Sonntagnachmittag begut
achtete er meist die bei der Sägerei gela
gerten Stämme von Eschen, Kirsch- und
Birnbäumen. Bereits vor dem Sägen be
stimmte er den Zweck der Bretter und prüf
te Qualität sowie Verwendungsmöglichkei
ten des Holzes.
Josef blieb ledigen Standes. Vielleicht gerade
deshalb waren Kinder bei ihm immer will
kommen. In seiner Werkstatt fühlten sie sich
wohl und spielten mit Holzklötzen sowie
einfachen Werkzeugen. Auch wenn der
Lärm zu gross und das Treiben zu bunt wur
den, blieb Josef stets gelassen und meinte
lächelnd; «Jätz leg i eu dänn s Rappaoor aa.»
Bei schlechtem Wetter war seine Werkstatt
Treffpunkt der Bauern und Fuhrwerken
Nun hatten sie Zeit, kaputte Rechen und
«Mähworbe» zum Wagner zu bringen. Sie
vergassen Zeit und Arbeit, diskutierten und
politisierten. Auch während der grössten
Diskussionen hielt Josef bei der Arbeit nicht
inne. Er lächelte und kaute seinen Tabak.
Im Dorf war Josef auch als talentierter
Bastler bekannt. Für ärmere Familien stell
te er hölzernes Spielzeug her, das in den
Läden oder Warenhäusern beinahe uner
schwinglich war. Laster, Puppenwagen und
Ställe aus Holz sowie kleine Spansägen und
leichte Scheiterbeile türmten sich während
der Adventszeit in seiner Werkstatt. Einmal
habe er am Heiligabend bis halb elf Uhr ge
arbeitet, um die letzten Geschenke fertig zu
machen.
Beim Betrachten eines alten hölzernen Wa
genrades entdeckt man, aus wie vielen Ein
zelteilen ein solches besteht: Speichen,
Radnabe und Lauffläche. Diese wurden
- ineinander gefügt - dem Schmied ge
bracht, der die eisernen Reifen um Nabe
und Lauffläche legte. Innerhalb kurzer Zeit
wurde das eisenbereifte Holzrad dann vom
gummibereiften Metallrad verdrängt. Nur
noch selten musste der Wagner ein Holzrad
reparieren oder ersetzen. Der Beruf des
Wagners - des Wagenbauers - wurde zum
aussterbenden Beruf.
Josef musste der langjährigen strengen Ar
beit Tribut zollen. Die neue Zeit kam ihm
entgegen. Die Arbeitstage wurden kürzer, er
konnte sein Tagwerk gemütlicher angehen,
und das Licht brannte abends nicht mehr
so lange in der Werkstatt.
Seine Kräfte begannen allmählich nachzu
lassen. Er war froh, dass er noch neue
Stiele für Pickel und Schaufeln, Rechen
und Gabeln fertigen konnte. Die müden
und «abgewerkten» Hände versagten manch
mal fast den Dienst. Trotzdem stand Josef
noch täglich in der Werkstatt, musste sich
jedoch bei der Arbeit mehr Zeit lassen als
früher. Schliesslich zwang ihn seine ange
schlagene Gesundheit, Säge und Zugmesser
aus der Hand zu legen.
Während seiner Krankheit besuchte ich ihn
im Spital Vaduz. Er gab mir mehr, als ich
ihm geben konnte. Seine innere Zufrieden
heit und Bescheidenheit waren ein Ge
schenk. Ich merkte, dass Josef Heimweh
hatte und sich danach sehnte, möglichst
bald wieder in sein einfaches Haus Nr. 1 in
Balzers zurückkehren zu können. Dank sei
nes grossen Willens schaffte er dies. Als er
wieder begann, etwas zu arbeiten, brachte
ich ihm ein kaputtes Beil, bei welchem
er einen neuen Stiel einsetzen musste.
«D'Händ wänd nümma», sagte er zu mir.
Trotzdem erledigte er noch täglich kleinere
Wagnerarbeiten.
Mit der Zeit schwanden die Kräfte aber
zusehends. Josef musste seine geliebte
Werkstatt für immer verlassen. Werkzeuge
und Geräte schenkte er der Gemeinde für
ihre «Sammlung historisch interessanter
Gegenstände». Sie sind ein Vermächtnis
eines herzensguten Menschen und ein An
denken an einen aussterbenden Hand
werksberuf. Josef starb im 83. Lebensjahr.
Zum ersten Rosenkranz kamen nur wenige
Leute. Sein Nachbar, Arthur Brunhart,
meinte beim Verlassen der Kirche mit sei
ner tiefen und lauten Bauarbeiterstimme:
«So wäneg Lüt hät's höt doo kha. Dr Josef
ischt so än guata Maa kse.»